Ob sich die Berliner S-Bahn auch an der Finanzierung dieses ohne Förderung, aber mit Crowdfunding gestemmten No-Budget-Debüts des 1985 geborenen Julius Schultheiß beteiligt hat? Durch die Fensterscheiben starren und der vorbeiflirrenden Stadt zwischen den vielen Baukränen beim Facelifting zuzuschauen, liegt Lotte, der Heldin dieses überwiegend auf der Straße mit Handkamera gedrehten Frauenporträts. Im Zugabteil kann sie ihr strapaziöses Thirtysomething-Dasein zwischen Alkohol, Kokain und durchgemachten Nächten für einen kurzen Moment vergessen. Die stets einen Tick zu coole Krankenschwester sucht die Konfrontation mit ihrem Lover und sieht sich unverhofft vor die Tür gesetzt. Das kommt ihr natürlich gelegen, denn der Rollkoffer ist ohnehin ihr bester Freund. Wie gut, dass sie einen weit verzweigten Bekanntenkreis hat, durch den sie sich mit sportlichem Ehrgeiz durchtelefoniert. In einer mit Kühlschrank und Bett ausgestatteten Gartenlaube findet Lotte schließlich eine vorläufige Bleibe.
Wenn schon die Schlafstelle gesichert ist, wozu noch arbeiten? Den Job im Krankenhaus erträgt sie nur dank der vielen Zigarettenpausen, schafft es aber auch hier mit ihrer saloppen Arbeitsmoral, die Vorgesetzten gegen sich aufzubringen. Bevor sie rausfliegt, begegnet sie durch puren Zufall ausgerechnet ihrer 15-jährigen Tochter, die seit der Geburt beim Vater aufgewachsen ist. Der Nachwuchs lässt sich fortan nicht abschütteln, bekocht und begleitet sie auf ihren nächtlichen Touren, Drogen und zufälliger Sex inklusive. Das Duo wirkt wie zwei ihre Freiheit über alles stellende Freundinnen, die es den Männern gleich machen wollen, ohne Rücksicht auf Verluste. Da muss schon ein Kasten Bier herhalten, um in einer Wette zu entscheiden, ob nicht nach Jahren der feindseligen Funkstille der Besuch bei der Oma angesagt wäre. Die Tochter erweist sich als die bessere Kampftrinkerin. Der Familienzusammenführung steht nichts mehr im Wege.
Ein Drama will diese Skizze einer scheinbar sich selbst genügenden Existenz nicht sein. Karin Hanczewski tariert ihre Mimik zwischen chronischer Wut und Belustigung gekonnt aus, auch über die eigene Figur, die in der Pubertätsschleife aus Unverbindlichkeit und chronischer Grenzüberschreitung hängen geblieben ist. Dass sie irgendwann doch Gefallen an menschlicher Nähe findet und die Tochter nicht mehr gehen lassen will, ist nicht gerade glaubwürdig, zumal die finale Begegnung mit ihrer eigenen Mutter dem Abspann zum Opfer fällt. Diese hat eine ominöse Schuld auf sich geladen, was bedeuten soll, dass eine derart aus dem Rahmen weiblicher Rollenbilder herausfallende Hedonistin nur einem Psycho-Trauma geschuldet sein kann. Die konservative Rückwärtsrolle wäre eigentlich nicht nötig gewesen, in diesem lebensnah getakteten, mit atmosphärischen Inseln einer unwiederbringlich vergehenden Jugend aufgelockerten Generationsfilm, dem man den etwas zähen Erzählfluss aus Dankbarkeit für die unkonventionelle Protagonistin gerne verzeiht.