Stranger Things

Drama | USA 2016-2022 | 440 (1. Staffel, acht Folgen) 464 (2. Staffel, neun Folgen) Minuten

Regie: Matt Duffer

Staffel 1: Drei Jungen aus einer US-Kleinstadt treffen bei der Suche nach einem verschwundenen Freund auf ein Mädchen mit telekinetischen Kräften. Das Kind wird von Agenten verfolgt, während sich übersinnliche dunkle Mächte über der Stadt zusammenbrauen. Als deren Quell entpuppt sich eine dunkle Gegenwelt. Die Mystery-Serie knüpft in Machart, Songs und Zitaten als Hommage an die Abenteuerfilme der 1980er-Jahre an. Die furiose, mitunter atemlose Inszenierung gleicht manche logische Unstimmigkeit durch Humor und Spannung aus. Staffel 2: Auch nach der Rettung des vermissten Junge aus der "anderen Seite" bleibt er weiter im Visier der finsteren Mächte aus dem Schattenreich. Während sich über ihm und der Kleinstadt erneut Unheil zusammenbraut, werden die Freunde des Jungen und seine Helfer, zu denen ein couragiertes Mädchen dazu stößt, auf die mysteriösen Umtriebe aufmerksam, wobei sie in handfeste Abenteuer und emotionale Verwicklungen geraten. Die zweite Staffel verlässt sich jedoch nicht auf die deutlich aufwändigeren Effekte, sondern entwickelt den Stoff um die sympathischen Protagonisten durch einem gut ausgewogenen Mix aus Grusel, Coming-of-Age-Elementen und Humor überzeugend weiter. Staffel 3: Nachdem das Portal zur unheimlichen Gegenwelt am Ende von Staffel 2 geschlossen wurde, genießen die Protagonisten den Sommer. Doch dann entdecken die Teens und ihre erwachsenen Vertrauenspersonen, dass sinistre Russen ihrerseits einen Weg nach "Upside Down" suchen. Dabei bekommen sie es auch mit seltsamen physikalischen Anomalien zu tun und einem Monster, das Menschen seinen Willen aufzwingt. Eine rundum stimmige, die Charaktere sympathisch weiterentwickelnde Fortschreibung, in der die popkulturellen Reminiszenz an die 1980er-Jahre um Elemente des Spionagefilms ergänzt werden. In den humorvoll zugespitzten Reibereien zwischen den weiblichen und männlichen Figuren spielen auch die "Gender Trouble" dieses Jahrzehnts und der Kampf der Frauen um mehr Respekt eine Rolle. Staffel 4: Nach dem verlustreichen Finale von Staffel 3 sind die Figuren seelisch angeschlagen; durch den Umzug der Familie Byers nach Kalifornien ist die Freundesgruppe zudem getrennt. Dann taucht in Hawkins eine neue Bedrohung auf: ein Wesen aus dem Upside Down, das Teenager ermordet und dabei ihre Ängste, Schuldgefühle und seelische Schwachstellen ausnutzt. Das Mädchen Eeleven muss sich derweil seiner Vergangenheit in den Hawkins-Laboratorien stellen. Bezugnehmend auf den 1980er-Horrorklassiker "A Nightmare on Elm Street" gelingt auch der vierten Staffel eine stimmige Weiterentwicklung der Figuren, wobei es als roter Faden in verschiedenen Varianten um Schuld und vergangene Traumata geht. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
STRANGER THINGS
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2016-2022
Produktionsfirma
21 Laps Ent./Monkey Massacre
Regie
Matt Duffer · Ross Duffer · Shawn Levy · Rebecca Thomas · Andrew Stanton
Buch
Matt Duffer · Ross Duffer · Jessica Mecklenburg · Justin Doble · Alison Tatlock
Kamera
Tim Ives · Tod Campbell · David Franco · Lachlan Milne
Musik
Kyle Dixon · Michael Stein
Schnitt
Dean Zimmerman · Kevin D. Ross · Nat Fuller · Katheryn Naranjo
Darsteller
Winona Ryder (Joyce Byers) · David Harbour (Jim Hopper) · Finn Wolfhard (Mike Wheeler) · Millie Bobby Brown (Eleven) · Gaten Matarazzo (Dustin Henderson)
Länge
440 (1. Staffel, acht Folgen) 464 (2. Staffel, neun Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Mystery
Externe Links
IMDb | TMDB

Eine Gruppe Jugendlicher bekommt es mit den Gefahren einer düsteren Schattenwelt zu tun: Eine spannende, amüsante Serien-Hommage ans Genrekino der 1980er, verpackt in ein Fantasy- und Coming-of-Age-Abenteuer.

Diskussion

Staffel 1:

Auf ihren BMX-Rädern rasen sie durch die Alleen einer US-amerikanischen Kleinstadt und laufen wie in „Stand By Me“ an von Wald umgebenen Eisenbahnschienen entlang. Die Konstellation aus vier Freunden, die sich zu Beginn der 1983 einsetzenden Geschichte in das Rollenspiel „Dungeons & Dragons“ reinsteigern und zu denen sich später noch ein Mädchen gesellen wird, ist dieselbe wie bei den „Goonies“.

„Stranger Things“ heißt die Mitte Juli gestartete Netflix-Serie, die bis in die exakten Kameraeinstellungen hinein mit Vorliebe Abenteuerfilme der 1980er-Jahre zitiert. Willkommen in der Zitate-Hölle, ließe sich also anfügen, würde „Stranger Things“ aus all diesen Versatzstücken nicht selbst eine hochspannende Geschichte spinnen, die sich um das Verschwinden eines kleinen Jungen, den vermeintlich losbrechenden Wahnsinn einer Mutter und die übermenschlichen Kräfte eines Mädchens dreht, das selbst Opfer dunkler Mächte geworden ist – „Akte X“ lässt grüßen. Dabei scheint das Mädchen El, das mit kurzgeschorenen Haaren wie „E.T.“ in einer Novembernacht vor den Taschenlampen der drei Jungs auftaucht, die nach ihrem verschwundenen Freund Will suchen, eher aus der Feder von Stephen King zu stammen. Schließlich legt El ähnlich telekinetische Kräfte an den Tag wie Kings ebenso in den Fokus der Regierung geratenes „Feuerkind“.

Teenie-Story für Erwachsene im Nostalgie-Fieber

Nicht von ungefähr erinnert schon der Titel, der zu Beginn jeder Episode in bedrohlich roten Lettern vor pechschwarzem Hintergrund prangt, an die Typografie zahlreicher Stephen-King-Titel. Die von Agenten verfolgte El soll der Freundes-Clique helfen, Will wiederzufinden, der aus einer anderen Dimension immer wieder Kontakt aufnimmt. Flankiert wird die verzweifelte Suche von zwei anderen Altersgruppen, mit denen sich die Zuschauer identifizieren können: Von dem Teenager-Suchtrupp aus Mikes Schwester und Wills Bruder sowie von Sheriff Hopper, der selbst seine kleine Tochter verlor, und Wills Mutter (völlig überdreht, aber doch mit großartiger labiler Schlagseite gespielt von Winona Ryder).

Dieser nicht den Vorbildern entsprechende Fokus auf die älteren Figuren ist wichtig, ist „Stranger Things“ doch auch eher für Erwachsene im Nostalgie-Fieber geeignet als für die jungen Zuschauer, an die sich die Filmvorbilder damals richteten. Gruselige, oft auch blutige Szenen begleiten die Suspense-Mystery-Serie, in der die schleimig-organischen Monster-Zeugnisse direkt aus „Aliens“ zu tropfen scheinen und die Höllenportale auch in „Poltergeist“ hätten klaffen können.

Achtung, Demogorgon!

Die Serienentwickler Matt und Ross Duffer hauen kräftig auf die Klaviatur des Unheimlich-Fantastischen, wie es ihnen in den 1980er-Jahren präsentiert wurde, während auf der anderen Seite Songs wie The Clash’s „Should I Stay or Should I Go“ für Auflockerung sorgen. Das ist nicht sonderlich subtil, aber durchgängig unterhaltsam. Humor war immer auch Teil der filmischen Vorbilder, aus denen ebenfalls beliebte Teenie-Motive wie Außenseitertum, Mobbing und die Entscheidung zwischen arrogantem Yuppie-Schnösel und Sonderling in die Serie hinübergerettet wurden.

„Stranger Things“ macht dabei von der ersten Szene einer spannenden Flucht durch flackernde Laborgänge bis zum weitere Staffeln in Aussicht stellenden Finale seinem Namen alle Ehre. Dabei legt die Serie eine Atemlosigkeit an den Tag, die manches Logik-Loch unbekümmert offen lässt und in einige digitale Effekte mehr hätte investieren können. Aber auch das lässt sich unter Nostalgie-Erfahrung verbuchen, wenn man sieht, wie gut es der Serie gelingt, gleich mehrere Generationen von Filmfans in die Mystery-Universen ihrer Jugend zurückzuversetzen. Oder wie drücken es Will, Mike, Lucas und Dustin zu Beginn noch wohlig kreischend beim „Dungeons & Dragons“-Spiel im heimischen Keller aus: Achtung, Demogorgon! Kathrin Häger

Staffel 2:

Als kleiner Junge habe er eine Weile unter Albträumen von einem bösen Clown gelitten, erzählt Bob (Sean Astin), der neue Freund von Joyce Byers, deren kleinem Sohn Will (Noah Schnapp). Und er berichtet, wie die nächtlichen Schrecken schlagartig aufhörten, nachdem er sich einmal im Traum dem Clown gestellt und ihm ein beherztes „Geh weg!“ entgegengeschleudert habe, anstatt vor ihm wegzurennen. Das ist von Bob als Ermutigung gemeint, weil Will seinerseits völlig verängstigt ist von Visionen eines großen, vage spinnenartigen Schattenmonsters, die ihn immer wieder heimsuchen. Will beherzigt die Geschichte. Dem Zuschauer aber schwant, dass das nicht gut ausgehen wird. Der nette Bob hat nämlich keine Ahnung! In Hawkins, Indiana, muss man damit rechnen, dass die sprichwörtlichen Monster unter dem Bett durchaus real sind. Stehenbleiben und Anschreien ist da im Zweifelsfall keine kluge Strategie.

Eine Phalanx gegen das Grauen von der „Anderen Seite“ und das banale Böse einer amerikanischen Kleinstadt

Mit der ersten Staffel von „Stranger Things“ bescherten die Showrunner Matt und Ross Duffer Netflix 2016 einen phänomenalen Erfolg. Die beiden sind in den 1980ern geboren; und wie kürzlich im Kino Andy Muschetti mit seiner „Es“-Neuverfilmung beschwören beide in der Serie stilsicher jenes Jahrzehnt herauf, um von den Schrecken und Geheimnissen der Kindheit zu erzählen – und von der weißen Magie von Freundschaft und Liebe, die aus Losern und sozialen Außenseitern eine verschworene Phalanx gegen das Grauen von der „Anderen Seite“ und das banale Böse einer amerikanischen Kleinstadt macht. Dass sie dabei fröhlich in den Fußstapfen von Genre-Größen wie Stephen King, Steven Spielberg, John Landis und Ridley Scott und seinem „Alien“ wandeln, nimmt der Serie nichts von ihrer Frische.

Was nicht zuletzt an der sorgfältigen Figurengestaltung liegt, die die Genre-Elemente wirkungsvoll emotional rückkoppelt. Davon, dass sie für Staffel 2 ein wesentlich höheres Budget zur Verfügung hatten, haben sich die Duffer-Brüder und ihre Co-Autoren nicht dazu verleiten lassen, diese Stärke zu vernachlässigen und sich nur mit aufwendigen Effekten selbst übertrumpfen zu wollen; stattdessen setzen sie konsequent auf die Weiterentwicklung der liebenswert unheroischen Protagonisten (und die Einführung einiger schöner neuer Figuren) und ihres Beziehungsgeflechts, das auch ohne Schattenmonster Stoff für spannende Konflikte liefert: Die vorpubertäre Jungs-Clique um Will ist so beschäftigt mit ersten Herzensangelegenheiten – Mike mit seiner Trauer um die verschwundene (in der neuen Staffel aber sehr bald wieder auftauchende) Eleven, Dustin und Lucas mit der Faszination für eine neue, coole Mitschülerin –, dass es eine Weile dauert, bis die Kinder mitbekommen, wie schlimm es erneut um Will und um ganz Hawkins steht. Sheriff Hopper wird zwar immer wieder von Wills besorgter Mutter Joyce zu Hilfe gerufen, ist aber abgelenkt, weil er zuhause in seiner Kate ein brisantes Geheimnis hütet; und Wills Bruder Jonathan kommt einmal mehr in die bittersüße Situation, der still von ihm angehimmelten Nancy helfen zu müssen, die dagegen aufbegehrt, wie die Erwachsenen und auch ihr Freund Steve die Ereignisse aus Staffel 1 einfach unter den Teppich gekehrt haben.

Mad Max & Farrah Fawcetts Haarspray

Den Machern gelingt es bestens, die verschiedenen Handlungsstränge harmonisch zu verflechten, die Coming-of-Age- und die Gruselelemente gut auszutarieren und auch den schrägen Humor nicht zu kurz kommen zu lassen. Der speist sich unter anderem wieder aus dem genüsslichen Spiel mit unterschiedlichsten Schnipseln der 1980er-Popkultur: Statt über „Dungeons und Dragons“ zu brüten, zocken die Jungs mittlerweile in einer Arcade-Videospielhalle und werden von einem Mädchen überflügelt, dessen nom de guerre „Mad Max“ ist; der kleine Dustin lockt ein Wesen, das nicht von dieser Welt ist, mit einer Fährte aus Süßigkeiten (wie weiland die Kids in „E.T.“), Steve Harrington schwört auf Farrah-Fawcett-Haarspray, um seiner Tolle den richtigen Schwung zu verpassen, und die kleine Eleven verwandelt sich in einen regelrechten „MTV Punk“. Und büxt zu den Klängen von Bon Jovis „Runaway“ zwischenzeitlich in die Großstadt aus, während Joyces neuer Freund den kleinen Will mit Kenny Rogers‘ „Islands in the Stream“ nervt und schlussendlich alles zu Cyndi Laupers „Time After Time“ und „Every Breath You Take“ von The Police den Stehblues tanzt: eine Zeitmaschine, für die man keinen DeLorean braucht. Felicitas Kleiner

Staffel 3

She’s a material girl: In einer Szene erkundet Elfi (Millie Bobby Brown) die Freuden der neuen Mall, die beim Städtchen Hawkins in Indiana ihre Pforten geöffnet hat. Sie mischt sich unter die dauergewellte Menge und verpasst sich beim gutgelaunten Shopping-Trip einen neuen, topmodischen Look. Diese Sequenz, zu der Madonnas Hit „Material girl“ aus dem Jahr 1984 erklingt, ist eine jener Hommagen an Popkultur, Mode und das Lebensgefühl der 1980er-Jahre, die „Stranger Things“ mit Vorliebe zelebriert. In der dritten Staffel ist mittlerweile der Sommer 1985 angebrochen, das Jahr, in dem „Zurück in die Zukunft“ in die Kinos kam (was natürlich nicht unerwähnt bleibt). Es sind Ferien, und über dem jungen Liebesglück von Elfi und Mike (Finn Wolfhard), das am Ende der zweiten Staffel beim Schulball besiegelt wurde, sind erste dunkle Wolken aufgezogen, weshalb Elfi dringend eine Aufheiterung braucht. Sie fühlt sich von Mike nicht gut behandelt und gibt ihm, bestärkt von der toughen Maxine (Sadie Sink), kräftig Kontra.

Monster, Machos und starke Mädchen

Womit eines der Themen auf dem Tisch wäre, mit denen die Showrunner Matt und Ross Duffer der Serie neuen Stoff verschaffen: der „Gender Trouble“ jenes Jahrzehnts, in dem Frauen sich mit Schulterpolstern eine maskulinere Silhouette gaben und um ein emanzipierteres Selbstbild rangen, während ein konservativer, „Rambo“-mäßiger Macho-Backlash gleichzeitig für Gegenwind sorgte. Die Kabbeleien zwischen den Mädchen sowie Mike und seinen Kumpels Will (Noah Schnapp) und Lucas (Caleb McLaughlin) umspielen das mit Screwball-Leichtigkeit; und Elfi kann durch ihre Superkräfte ziemlich gut Respekt einfordern. Etwas komplizierter sieht es für Mikes Schwester Nancy (Natalia Dyer) aus, die mit ihrem Freund Jonathan (Charlie Heaton) ein Praktikum bei der Lokalzeitung macht und als angehende Journalistin an eine durch und durch chauvinistische Redaktion gerät. Dass solche Männer sich schließlich als veritable Monster entpuppen, ist abzusehen.

Denn Ärger gibt es in Staffel 3 von „Stranger Things“ natürlich nicht nur zwischen den Geschlechtern, sondern auch wieder mit den Wesen von „der anderen Seite“. Obwohl das Portal zum Schattenreich des "Upside Down" am Ende von Staffel 2 geschlossen wurde, schafft es der „Mindflayer“ wieder nach Hawkins, eine unheimliche Kreatur mit der Fähigkeit, sich in den Körpern von Menschen (etwa Zeitungsredakteuren) einzunisten – John Carpenters Das Ding aus einer anderen Welt (1982) lässt grüßen.

Die rote Gefahr infiltriert Hawkins

Daran, dass es wieder eine Öffnung zwischen den Welten gibt, sind diesmal die Russen schuld (es herrscht immer noch der Kalte Krieg), die in den früheren Staffeln schon immer mal wieder nebenbei erwähnt wurden und nun dort weitermachen wollen, wo die US-Regierung nach ihren schmerzhaften Erfahrungen in Staffel 2 aufhörte. Und so lassen sich in Hawkins bald wieder unheimliche Phänomene beobachten.

Dramaturgisch verfahren die Autoren der dritten Staffel nach bewährtem Muster: Sie teilen das Ensemble in verschiedene Grüppchen auf, die durch Zufall jeweils einen anderen Handlungsfaden des zu lösenden Problems rund um den „Mindflayer“ und die Russen zu fassen bekommen, bis sich am Ende alle gemeinsam zum Showdown versammeln. Was vielleicht simpel klingt, tatsächlich aber angesichts der Tatsache, wie sicher in der Montage der unterschiedlichen Stränge mit Spannungsbögen und Figurenentwicklungen gearbeitet wird, eine beachtliche Leistung ist. Die Handlung um Elfi, Mike, Will & Co. lebt auch davon, dass sie ebenso feinfühlig wie witzig die Coming-of-Age-Befindlichkeiten der Figuren einbindet, die im undankbaren In-Between-Alter angekommen sind, wo sich wahnsinnig schnell wahnsinnig viel verändert – worunter nicht zuletzt Will leidet, der eigentlich noch viel lieber in Ruhe mit seinen Jungs „Dungeons & Dragons“ spielen würde, als in deren Hormon-Zirkus involviert zu werden.

Irrwitzige Exkurse ins Spionagefilm-Genre

Während sich die Storyline um Jonathan und Nancy, die durch ihre Arbeit bei der Zeitung auf die gruseligen Veränderungen in Hawkins aufmerksam werden, Richtung „Body Horror“ ausstreckt, setzt der Strang um Dustin (Gaten Matarazzo), Steve Harrington (Joe Keery), eine neu eingeführte (sehr interessante) Mädchen-Figur sowie die zur altklug-frechen Co-Heldin aufsteigende kleine Schwester von Lucas komödiantische Höhepunkte: Am Beispiel von Steve wird lustvoll ausbuchstabiert, welchen Demütigungen ein früherer High-School-Star nach seinem Schulabgang ausgesetzt sein kann; vor allem aber gibt es irrwitzige Spionagefilm-Elemente à la „James Bond“ – inklusive der wohl schrägsten Verhör-Folter-Szene, seit Captain Mal Reynolds und sein Pilot in „Firefly“ in die Fänge des Shanyou gerieten. Mit Agenten-mäßiger Action bekommen es schließlich auch Joyce Byers (Winona Ryder) und Sheriff Hopper (David Harbour) zu tun, als sie in den Laborräumlichkeiten aus Staffel 1 und 2 nach dem Rechten sehen. Wobei fiese Russen das ungleiche Paar kaum mehr trietzen als Joyce und Hopper sich gegenseitig, weil die unausgesprochene Anziehung, die seit Staffel 1 zwischen den beiden schwelt, für Spannungen und Missverständnisse sorgt.

1980er-Nostalgie wird anschlussfähig für die Gegenwart

Staffel 3 bewegt sich dabei durchweg auf dem Niveau der ersten Staffeln und schafft es, durch ihre neuen thematische Impulse dem Serienschema Drive zu geben. Beachtlich ist dabei, wie gut die 1980er-Nostalgie für die Gegenwart anschlussfähig gemacht wird: Im Gender-Hickhack rund um Nancy schwingt im Hintergrund die #MeToo-Debatte mit. Und wenn sich schließlich herausstellt, dass ein stillgelegtes Stahlwerk und die vom korrupten Bürgermeister bewilligte Einkaufsmall, die viele Einzelhändler in Hawkins ruiniert hat, zentrale Rollen in den Umtrieben des „Mindflayer“ spielen, dann wird damit motivisch der „Horror“ des wirtschaftlichen Niedergangs der Arbeiterschicht und des ländlichen Mittelstands in den USA eingebunden, der den Aufstieg von Populisten à la Trump begünstigt hat. Auch bei dessen Wahl sollen die Russen ja eine unlöbliche Rolle gespielt haben. Felicitas Kleiner

Staffel 4

Am Anfang steht ein Rückblick ins Jahr 1979: Wir werden zurückkatapultiert in die Hawkins-Laboratorien, wo einst die Leidensgeschichte von „Stranger Things“-Heldin Eleven (Millie Bobby Brown) ihren Anfang nahm, bevor es dem mit übernatürlichen Kräften begabten Mädchen in Staffel 1 gelang, dem Zugriff der Wissenschaftler um Dr. Martin Brenner (Matthew Modine) zu entkommen. Der Prolog der neuen Staffel enthüllt nun eine bisher unbekannte, blutige Facette dieser Leidensgeschichte. Und er führt direkt zu dem zentralen Thema, das die Duffer-Brüder und ihre Co-Autoren zum fesselnden roten Faden der neuen Staffel der Erfolgsserie machen: Es geht um Schuld und um vergangene Traumata, ums Leben mit inneren Wunden.

Nach der Schlacht von Starcourt sind offene Wunden geblieben

Nach dem dramatischen Finale von Staffel 3, der Schlacht von Starcourt, ist es in der Erzählgegenwart des Jahres 1986 nicht nur Eleven, die seelische Blessuren mit sich herumschleppt. Auch ihre Freunde haben gelitten: unter dem Verlust ihres Schützers Sheriff Jim Hopper (David Harbour), unter dem Tod des Teenagers Billy (Dacre Montgomery), der vom diabolischen Mindflayer erst korrumpiert worden war, sich schlussendlich aber gegen ihn stellte und so den Tag rettete, und unter der Trennung der Gruppe durch den Umzug der Byers-Familie weg aus dem Städtchen Hawkins, Indiana, um mit Eleven im Schlepptau anderswo neu anzufangen.

Nicht zuletzt die eigentlich so toughe Max (Sadie Sink) ist angeschlagen: Billy war ihr Stiefbruder, zu dem sie zu Lebzeiten ein sehr gespanntes Verhältnis hatte und nun umso schlechter mit seinem tragischen Tod umgehen kann. Worauf das Mädchen reagiert, indem es sich von seiner Umwelt inklusive Lover Lucas (Caleb McLaughlin) zurückzieht, mittels Walkman-Kopfhörern die Außenwelt ausblendet und seinen Kummer in sich hineinfrisst.

Ein dämonischer Unhold, der seelische Verletzungen perfide ausnutzt

Das hat, wie sich im Lauf der ersten Folgen abzeichnet, gefährliche Konsequenzen. Denn in Hawkins beginnt ein neuer Unhold, sein Unwesen zu treiben. Die wie eine verwitterte Moorleiche anmutende Kreatur ermordet Teenager und nutzt dazu die seelischen Schwachstellen ihrer Opfer aus, schleicht sich sozusagen durch die ungesicherte Hintertür verdrängter Schuld-, Scham- und Schmerzempfindungen in ihr Innenleben, um sie schließlich psychisch, aber auch physisch regelrecht zu zerbrechen – sie enden mit unnatürlich verrenkten Gliedmaßen und verstümmelten Augen.

Dass es dabei nicht mit rechten Dingen zugeht, schwant ausnahmsweise nicht nur der in Hawkins verbliebenen Clique aus den vorherigen Staffeln, die mit den Schrecken des Upside Down schon reichlich Erfahrung hat, sondern auch dem ignoranten Rest der Stadt. Der tendiert jedoch dazu, unter Rädelsführung eines evangelikal angehauchten High-School-Basketball-Captains prompt die falschen Schlüsse zu ziehen, und macht Jagd auf den langhaarigen Leiter des „Hell Fire“-Clubs, weil man hinter dem, was eigentlich nur eine harmlose „Dungeons & Dragons“-Rollenspielgruppe ist, satanistische Umtriebe vermutet. Und so stehen die Kids – Max, Steve, Robin, Nancy und Dustin – erstmal ziemlich allein da, als sie beginnen, die Fährte der dämonischen Kreatur aufzunehmen, die sie im Rückgriff aufs D&D-Vokabular Vecna taufen. Lucas, der sowohl Mitglied der „Hell Fire“-Gruppe als auch Teil des Basketballteams ist, sitzt zunächst noch zwischen den Stühlen; Mike (Finn Wolfhard) ist anlässlich des Spring Breaks just zu Besuch bei den Byers und seiner Liebsten Eleven in Kalifornien. Und die Uhr tickt: Max könnte Vecnas nächstes Opfer sein.

Zwischen Kalifornien und Kamtschatka

Womit der zentrale Handlungsstrang der Serie etabliert ist. Dem bewährten Erzählmuster der vorherigen Staffel folgend, werden damit weitere Stränge verwebt, wobei es den Autoren einmal mehr mit respekteinflößend sicherer Hand gelingt, die Spannungskurven aufeinander abzustimmen und die zahlreichen Figuren so im Griff zu behalten, dass das erzählerische Ganze angesichts des fühlbaren Spaßes, den die Macher an ihren einzelnen Geschöpfen haben, nicht ausfranst. Klar, dass auch Eleven in Kalifornien, die am Ende von Staffel 3 ihrer übermenschlichen Fähigkeiten verlustig ging, eigene Dämonen zu bekämpfen hat und dass die Byers-Brüder Will und Jonathan sowie Elevens Liebster Mike in diese Kämpfe verwickelt werden. Wobei das Mobbing, das Eleven in ihrer neuen High School über sich ergehen lassen muss, bald in den Hintergrund tritt, als sie von ihrer Vergangenheit in den Hawkins-Laboratorien eingeholt wird und sich den Erlebnissen von damals neu stellen muss, um ihre Kräfte zurückzuerlangen und damit eine Chance zu bekommen, den fernen Freunden in Hawkins zu Hilfe zu kommen.

Die Byers-Mutter Joyce (Winona Ryder) wiederum bekommt in einer der ersten Folgen ein mit Hammer-und-Sichel-Briefmarken geziertes Paket von jenseits des Eisernen Vorhangs, das ihr bestätigt, was die Serienzuschauer schon seit der Post-Credit-Szene von Staffel 3 ahnten: Jim Hopper hat die Schlacht von Starcourt überlebt und ist in russische Gefangenschaft geraten, er darbt in einem Brutalo-Arbeitslager in Kamtschatka und muss nun mit Hilfe eines korrupten Wächters befreit werden – was für Joyce, mit dem exzentrischen Verschwörungstheoretiker Murray im Schlepptau, einen Lösegeld-Überbringungs-Trip nach Alaska notwendig macht, der natürlich alles andere als glattläuft.

Der Blick ins Innere sorgt neben abenteuerlichem für emotionalen Drive

Schon ein Blick auf die Besetzung, zu deren prominenten Zuwächsen Horror-Ikone Robert Englund (in einer Cameo-Rolle) gehört, ließ vorab vermuten, dass der 1984 erschienene Klassiker „A Nightmare on Elm Street“ einen wichtigen Referenzpunkt der neuen Staffel abgeben würde. Wobei es den Autoren aber nicht nur gelingt, in Form von Vecna dem Motiv des durchs Unterbewusste wirkenden Albtraum-Killers eine schön-schauerliche neue Gestalt zu verpassen, vor allem nutzten sie die Thematik geschickt als Steilvorlage, um sich mit den Innenwelten einzelner Figuren eingehender zu befassen, der neuen Staffel damit neben abenteuerlichem auch emotionalen Drive zu geben und den roten Faden des Umgangs mit Schuld und Traumata in verschiedenen Varianten zu beleuchten.

Was bis in den Handlungsstrang um Hopper in Sowjet-Gefangenschaft hineinreicht, der angesichts seiner aktuellen Not wieder in jene Depression zu verfallen droht, aus der ihn in vorherigen Staffeln seine väterliche Beziehung zu Eleven rettete. War die Einführung der „roten Gefahr“ in Staffel 3 noch primär eine karikierende Referenz an Actionfilme der 1980er-Jahre, wird der Tonfall nun grimmiger – was der neuen Staffel ganz guttut angesichts der realen politischen Entwicklungen, die den Zuschauern das unbeschwerte Lachen über vergangen geglaubte Ängste und Feindbilder der Ära des Kalten Kriegs gründlich verdorben haben dürften.

Der „Comic Relief“ wird nicht vergessen

Neben den düster-melodramatischen Tonlagen wird aber nichtsdestotrotz auch der „Comic Relief“ einmal mehr nicht vergessen: Neben dem bewährten „odd couple Dustin (Gaten Matarazzo) & Steve (Joe Keery) fällt zwar der dauerzugedröhnte Neuzugang Argyle (Eduardo Franco), der den Handlungsstrang um Eleven etwas auflockern soll, eher blass aus; dafür sorgen die Figuren Robin (Maya Hawke), Murray (Brett Gelman) und Lucas’ kleine Schwester Erica (Priah Ferguson), die in Staffel 3 komödiantische Glanzpunkte setzten, wieder umso gekonnter für befreiendes Lachen; und ein kurzer, aber schöner Exkurs nach Salt Lake City gibt Dustins Angebeteter Suzie (Gabriella Pizzolo) nicht nur Gelegenheit, den Freunden mit frühreifen Hacker-Kenntnissen einmal mehr hilfreich beizuspringen, sondern sich obendrein mitsamt ihrer schrägen Mormonen-Sippschaft für ein eigenes Spin-off in Form einer Familiensitcom zu empfehlen. Und bei aller „Teenage Angst“, mit der sich die jugendlichen Protagonisten einmal mehr herumschlagen, ist klar: Gegen die geballte Macht der Freundschaft, des Nerdtums und der 1980er-Popkultur, etwa in Form eines Kate-Bush-Songs, sollte sich auch ein fieses Psycho-Monster wie Vecna besser warm anziehen. Felicitas Kleiner

Kommentar verfassen

Kommentieren