In einem geheimnisvollen U-Boot greift Panik um sich, als ein Holzfäller auftaucht und vom Kampf gegen rote Wölfe fabuliert. In fantasievollen, leicht ins Obszöne spielenden Erzählfetzen entfaltet sich ein abgründiger, psychedelisch-traumartiger Bild-Ton-Trip, der sich scheinbar aus Fragmenten anderer Filme speist und von Texttafeln und Inserts zusammengehalten wird. Das multiple Verfahren bezieht postmoderne Ironie, absurden Humor, mondänes Pathos und artifizielle Bildsymboliken ein und verdichtet sich zu einer Hommage auf das Erzählen sowie auf die frühe Stummfilmzeit, in der cinephile Abenteuer noch nicht durch Konventionen gezähmt waren. (O.m.d.U.)
- Sehenswert.
The Forbidden Room
Experimentalfilm | Kanada 2015 | 130 Minuten
Regie: Guy Maddin
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Filmdaten
- Originaltitel
- THE FORBIDDEN ROOM
- Produktionsland
- Kanada
- Produktionsjahr
- 2015
- Produktionsfirma
- Phi/Buffalo Gal Pic.
- Regie
- Guy Maddin · Evan Johnson
- Buch
- Guy Maddin · Evan Johnson · Robert Kotyk
- Kamera
- Benjamin Kasulke · Stéphanie Anne Weber Biron
- Musik
- Galen Johnson · Guy Maddin · Jason Staczek
- Schnitt
- John Gurdebeke
- Darsteller
- Roy Dupuis (Cesare) · Clara Furey (Margot) · Louis Negin (Marv/Smithy/Mars/Organisator/Mr. Lanyon) · Udo Kier (Graf Yugh/Butler/Toter Vater/Wächter/Apotheker) · Gregory Hlady (Jarvis/Dr. Deane/Ehemann)
- Länge
- 130 Minuten
- Kinostart
- 07.04.2016
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert.
- Genre
- Experimentalfilm | Komödie | Mystery
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Quell-bunte Hommage aufs Erzählen von Guy Maddin
Diskussion
Schon der Vorspann macht unmissverständlich klar, womit man es zu tun bekommt: Fortwährend ändert sich der Hintergrund, auf dem die Credits zu lesen sind. So, als wäre der Film aus lauter Fragmenten anderer Filme montiert. Auch weist das Filmmaterial bereits erhebliche Schäden auf. Die Farbpalette ist angegriffen, der Bilderfluss gerät permanent ins Rutschen, die Tonspur fällt aus; auch scheinen ganze Teile des Films zu fehlen. Zudem gibt es Über- und Doppelbelichtungen, Unschärfen, Bildfraß und Emulsionseffekte. Kurzum: „The Forbidden Room“ ist ein psychedelischer, traumartiger Bild-Ton-Trip, der in „Camp“-Manier kurze Narrations-Bojen auswirft. Diese fügen sich assoziativ, aber fragmentarisch zur einer offenen und abgründigen Erzählung, die gleichzeitig eine Hommage an das Erzählen ist.
Nicht ausgeschlossen, dass der Erzähler in der Badewanne weggedämmert ist. Denn mit einem quell-bunten Super-8-Privatfilm über das rituelle Baden als „Vorspiel auf dem Theater“ beginnt eine abgründige Reise, die zunächst in ein gesunkenes U-Boot führt, das nicht auftauchen kann, weil es nur der Wasserdruck vor der Explosion bewahrt. Ratlose, verzweifelte Matrosen trauen sich nicht, den Kapitän um Rat zu fragen; der darf nicht gestört werden und ist überdies verschwunden. Dafür erhält die Besatzung unvermittelt Besuch von einem Holzfäller, der gerade noch in den dunklen Wäldern von Holstein-Schleswig damit beschäftigt war, die schöne Margo in einem absurden Wettbewerb (Blasen schlagen, Exkremente schichten, Genitalien wiegen, Finger schnippen) aus den Klauen verwilderter roter Wölfe zu befreien.
Kurz darauf wird man Zeuge einer neurochirurgischen Attacke auf das Gehirn eines manischen Patienten und begegnet einem Mörder, der eine seltsame Geschichte zu seiner Entlastung erzählt. Denn ums Erzählen und seine Verschachtelungen kreisen die höchst fantasievollen und immer leicht ins Obszöne spielenden Erzählfetzen, die Guy Maddin und sein Co-Regisseur Evan Johnson mittels halbzerstörter Filmkopien imaginieren und durch Texttafeln und Inserts zusammenzwingen. Postmoderne Ironie, absurder Humor, mondänes Pathos und abgründige Bildsymboliken inklusive. Hier, in der Welt des frühen Films, scheinen noch die cinephilen Abenteuer möglich, die mittlerweile längst durch Konventionen „gezähmt“ sind.
Seinen Ursprung hat „The Forbidden Room“ in einem Kunstprojekt in Montreal und Paris, in dem Maddin verlorene Filme der Stummfilmzeit, von denen oftmals nur ein Titel geblieben war, live vor Publikum imaginierte und re-inszenierte. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. Auch in Maddins Vorgängerfilmen wie „Lawinen über Tolzbad“ (1992) oder „The Saddest Music in the World“ (fd 37 944) ging es ja stets trashig, campig, verspielt und polymorph-pervers zu.
Ein Vorbild fürs multiple Erzählverfahren, das auf der Erinnerung verlorener Filme der Zeit vor dem Hays Code gründet, war dabei die experimentelle, proto-surreale Prosa eines Raymond Roussel und dessen opus magnum „Locus Solus“ von 1914.
Potenziert wird das Vergnügen an „The Forbidden Room“ durch Gastauftritte einschlägiger Stars wie Udo Kier, Mathieu Amalric, Charlotte Rampling, Geraldine Chaplin oder Elina Löwensohn, die Maddins idiosynkratische Kunstparadiese mit mal kleineren, mal größeren Auftritten um intertextuelle Kontexte erweitern. Man ahnt schon früh, dass die Entscheidung, die Tür zum „Forbidden Room“ nach gut zwei Stunden zu schließen, reine Willkür ist: Es könnte immer so weitergehen.
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