Bei Boxerdramen kann man immer wieder mit einem erbauenden Plot rechnen. Ob Mann oder Frau, die Helden dieses unverwüstlichen Genres beweisen Ausdauer und Körperbeherrschung. Und sie haben genug Wut im Bauch, um alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Nur im Privatleben klappt es nicht immer. Mitunter geht die Selbstdisziplinierung in dramaturgisch wertvolle Autodestruktion über.
Regisseur Thomas Stuber, der schon mit seinem studentischen Drittjahresfilm „Teenage Angst“
(fd 39 116) ins Kino kam und mit dem Abschlussfilm „Von Hunden und Pferden“ den Studenten-„Oscar“ gewann, hat sich für das Drehbuch seines ersten Langfilms die Unterstützung des Schriftstellers Clemens Meyer geholt, dessen Kurzgeschichte am Anfang der Zusammenarbeit stand. Beide sind noch zu DDR-Zeiten in Leipzig geboren. Auch der Film lebt von der authentisch eingefangenen Ost-Tristesse. Und Peter Kurth in der Hauptrolle ist wie jüngst in „Schmitke“
(fd 43 450) ein Glückfall. Selbst wenn man seine an der irreversiblen Nervenkrankheit Amyothrophe Lateralsklerose (ALS) erkrankte Figur kaum noch versteht, erzählt sein Gesicht erschütternde Epen, die nichts daran ändern, dass man sie mit all ihren menschlichen Unzulänglichkeiten und der Neigung, Probleme mit Gewalt zu lösen, nicht wirklich sympathisch finden kann.
Herberts Ego muss früher groß und rücksichtslos gewesen sein. Gefühle waren für ihn wohl eher lästig, und doch muss er sich ihnen in der letzten Lebensphase stellen. Denn auch in diesem Boxer-Porträt geht es vor allem darum, dem eigenen Körper Widerstand zu leisten. Nur lassen sich die Emotionen diesmal auf dem Weg in den sicheren Tod nicht mehr abschütteln.
Herberts Zeit als Profi-Boxer ist schon lange abgelaufen. Der 60-Jährige arbeitet als Türsteher und schlagkräftiger Geldeintreiber, trainiert Jüngere für Wettkämpfe und verbringt seine Freizeit mit dem Tätowieren der wenigen noch freien Körperstellen. Um Frauen macht er einen Bogen. Seine Ehe ist gescheitert, zur Tochter und Enkelin hat er keinen Kontakt. An Freundin Marlene interessiert ihn nur der Sex. Intimes Zusammenleben ist nicht sein Ding. Als wäre dieser trostlose Lebensabend eines Ex-Sportlers nicht schon deprimierend genug, will sein Körper von einem Tag auf den anderen nicht mehr funktionieren. Die Armmuskeln zucken und krampfen, die Beine versagen ihren Dienst. Die schonungslose Kamera begleitet den Koloss ins Krankenhaus, registriert sämtliche Untersuchungen, bis am Ende die ALS-Diagnose Herbert buchstäblich den Boden unter den Füßen wegreißt.
Von nun an geht es nur noch bergab und man fragt sich irgendwann, wie viel hilflosen Körperverfall man in einem Film unterbringen kann. Herbert tobt, trinkt, weint und zieht sich zurück. Auf die Hilfe von Marlene, Rollstuhl und Krankenpfleger ist er trotzdem zunehmend angewiesen. Draußen auf der Straße nutzen seine ehemaligen Opfer die Gunst der Stunde und rächen sich mit Schlägen. Doch auf Herberts Box-Kumpel ist Verlass. Sie besorgen ihm einen Job, ausgerechnet in der Pathologie eines Krankenhauses, wo er seinem eigenen Tod ins Gesicht schaut. Auf einmal sucht er die Nähe zu seiner Tochter und bettelt darum, nicht weggeschickt zu werden. Ein sturer Mann, der sich erst kurz vor dem Ende seine Fehler eingesteht und der Enkelin aus dem Betreuungsheim besprochene Tonbandkassetten schickt.
Stuber spart nichts aus, schreitet chronologisch voran und verzichtet auf Rückblenden, die bei dem jungen Herbert nach den Gründen seiner abweisenden Autarkie fahnden würden. Mit seiner mitunter beinahe dokumentarischen Machart reiht er sich in die Andreas-Dresen-Fraktion ein. Humor ist in seinem Drama allerdings ein Fremdwort. Es gibt schlicht nichts zu lachen in dieser Stadt, die nur aus einem Proletariat zu bestehen scheint, das mit mühsam verdienten Niedriglöhnen in Trabantensiedlungen zu überleben versucht. Herbert wird für seine verspäteten Mühen, sich mit der Familie zu versöhnen, auch keineswegs belohnt. Die emotionale Barrieren sind zu groß, und die Zeit zum Verzeihen zu kurz. Wie ohnehin mit einer befreienden Katharsis nicht zu rechnen ist. Es geht alles seinen gewohnten neorealistischen Lauf, und die Einsamkeit des alten Egomanen triumphiert im Finale bitter.
Auch wenn der Blick auf das Milieu mitunter allzu ausgiebig gerät und die Stationen des langen Abschieds fatalistisch die Vergeblichkeit feiern, überzeugt „Herbert“ durch die mutige erzählerische Konsequenz in der Tradition von Fassbinders „Berlin Alexanderplatz“ (1980), die man im deutschen Kino nicht oft zu Gesicht bekommt.