Nur zwei Mal fällt der Blick nicht auf eine Wand. Zwei Mal stapfen Menschen durch einen schneebedeckten Wald, einen Nirgend-Ort, wo die Zivilisation fern und über die Welt, wie wir sie kennen, nichts zu erfahren ist. Das Langfilmdebüt des deutsch-griechischen Regisseurs und Drehbuchautors Nikias Chryssos deutet seine Hermetik bereits im Titel an. Der Begriff des Bunkers weckt freilich nicht nur Ahnungen an den Mikrokosmos drinnen, sondern auch an die Feindseligkeit der Welt draußen, vor der man sich verschanzt. Von der erzählt Chryssos allerdings nichts. Seine Welt ist von namenlosen Archetypen bevölkert: der Mutter, dem Vater, dem Studenten, der ein niedriges, fensterloses Zimmer bei der Familie mietet – und von Klaus, dem angeblich achtjährigen Sohn, der später einmal Präsident werden soll, sowie von Heinrich, einem übermenschlichen Wesen, dessen Seele die Mutter in ihre offene Beinwunde imaginiert und das ab und an zu ihr sprechen soll, vor allem über Klaus, dessen Ausbildung, Erziehung und Bestimmung.
Chryssos hat sein Kammerspiel also offensichtlich als Groteske angelegt, als dauernde Konfrontation der Exzentrik, des Wahnsinns und bisweilen des nackten Grauens mit den Normalvorstellungen vom zeitgenössischen Leben. Der Vater salbadert beim Essen von der Perfektion des Spiegeleis und schminkt sich beim berüchtigten Witzeabend das Gesicht zu einer karikaturesken Clownsmaske, er wäscht dem Studenten die Füße, wie Jesus es einst bei seinen Jüngern getan haben soll, und er führt Strichlisten über den Verbrauch des Gastes an Knödeln und Servietten. Dieser wiederum fantasiert vom Higgs-Teilchen und malt doch nur angestrengte Linien auf seine Blätter; später, als die Mutter das Ventil für seine sexuellen wie intellektuellen Verdrängungen öffnet, immerhin ekstatische Wirbelkurven. Und Klaus, der spricht und denkt und quengelt wie ein Kind, sieht wie ein Erwachsener im Zwergenkostüm aus – gespielt wird er von dem 1984 geborenen Daniel Fripan, der sich mit Haut und Haaren in die Verletzlichkeit und Weinerlichkeit eines kleinen Jungen hineinwirft.
Im Bunker waltet keine geschlossene Mythologie und wenig erzählerische Konsequenz. Gerade das Nicht-Vereinbare aller gestalterischen Elemente und deren Künstlichkeit prägen den Film. Im Breitwandformat entfaltet sich eine Vierecks-Konstellation, die nicht nur von den Wänden beengt wird. Das kalte elektrische Licht fällt auf satte Primärfarben; wen wundert es, dass für Grünes hier wenig Raum ist? Für das Publikum von Genre-Festivals, wo Chryssos’ Film erfolgreich lief, ist der Ausbruch aus inszenatorischem Schubladendenken ein Wert an sich. Sender und Förderer hingegen hatten abgewinkt. So sprangen Hana und Hans W. Geißendörfer als Co-Produzenten ein, und auch wenn es ein wenig unfair sein mag, Vater und Tochter nur mit der bekanntesten Produktion ihrer Firma zu identifizieren: Es hat schon was, den Bunker als Parallelwelt zur „Lindenstraße“ zu denken.
Lautstark gepriesen wurde die Arbeit für ihren Mut, ihre Originalität, ihre gekonnte Zusammensetzung vager Motive der großen Fantasten – wer mag, kann David Lynch, Tim Burton, Franz Kafka und viele andere wiederfinden. Die subtile Kunstfertigkeit von Chryssos besteht allerdings darin, in all dem Bizarren immer wieder das Menschliche zu finden. Der Student, der nur in Ruhe forschen wollte, wird als Hauslehrer für Klaus engagiert und bekommt den Druck, der auf dem Kleinen lastet, bald selbst zu spüren. Irgendwann kommt der Moment, an dem auch er zum Rohrstock greift: eine Qual für ihn, eine seltsame Befreiung für Klaus. Das Verstörende, das manche der streng komponierten Bunker-Tableaus ein wenig zu bemüht herbeizwingen wollen, speist sich in diesem und anderen Momenten gerade aus dem Altbekannten: aus der Rückkopplung an eine große, angeblich ausdifferenzierte Gesellschaft, die ihre Kinder dem eigenen Wahn von Erfolg und Leistungsfähigkeit opfert.