Hasret - Sehnsucht

Drama | Deutschland/Türkei 2015 | 78 Minuten

Regie: Ben Hopkins

Bei den Dreharbeiten zu einem Filmporträt über Istanbul fallen dem Regisseur auf den Bildern seltsam schattenhafte Spuren auf. Er geht der Sache nach und stößt auf unbekannte Seiten der Stadt abseits der Touristenattraktionen und Nachrichtenbilder. Halb fiktional, halb dokumentarisch stellt der melancholisch-sehnsuchtsvolle Filmessay die Stadt am Bosporus als facettenreiche Metropole voller Gegensätze vor. Dabei spart er zwar die aktuelle gesellschaftliche Lage weitgehend aus, bietet aber gleichwohl eine ebenso poetische wie sinnliche Annäherung. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
HASRET
Produktionsland
Deutschland/Türkei
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
Geißendörfer Film- und Fernsehprod./Bredok Filmprod./Mars Prod.
Regie
Ben Hopkins
Buch
Ben Hopkins · Ceylan Ünal Hopkins
Kamera
Jörg Gruber
Musik
Efe Akmen
Schnitt
Levent Çelebi
Darsteller
Isa Çelik (Faruk Korkmaz) · Bilge Güler (Geistermädchen) · Serhat Saymadi (Serhat) · Ben Hopkins (Ben Hopkins)
Länge
78 Minuten
Kinostart
26.11.2015
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama
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Melancholisch-sehnsuchtsvoller Filmessay über verborgene Seiten von Istanbul

Diskussion
Istanbul als Sehnsuchtsort – dieser Ansatz ist für jeden, der die einstige Hauptstadt des osmanischen Reichs kennt, naheliegend. Die Metropole am Bosporus ist eine der schillerndsten, kulturell wie religiös vielfältigsten und geschichtsträchtigsten Stätten der Menschheitsgeschichte. Und gerade auch in der Gegenwart der letzten 40 Jahre wird Istanbul über alle politischen Verwerfungen hinweg immer wieder neu entdeckt: Als modernste Stadt der Türkei, als Metropole des nach Westen ausgerichteten türkischen Kinos, das vor Ort unter dem Namen „Yeshilsham“ bekannt ist und diverse B-Versionen amerikanischer Blockbuster und europäischer Autorenfilme hervorbrachte – Cem Kaya drehte darüber 2014 seinen atemberaubenden, sehr komischen Dokumentarfilm „Remix Remake Rip-Off“–, als Kulminationspunkt verschiedenster Facetten einer arabesk eingefärbten Popmusik- und DJ-Szene, von der Fatih Akin in „Crossing the Bridge“ (fd 37 099) erzählte. Und ganz allgemein dient diese einzige Weltstadt, die auf zwei Kontinenten steht, den übrigen Europäern als Tor des islamischen Kulturkreises zum Westen. Und doch kann man von diesem positiv besetzten Istanbul nicht sprechen, ohne auch von seinen Schattenseiten zu erzählen. Genau dies ist die bittere Erfahrung, von der dieser Film handelt, die ihn aber auch selbst bis zu gewissem Grad trifft. Zunächst begleitet der Film wie bei einem „Making of“ ein Filmteam in Istanbul, das ein weiteres jener glitzernden 08/15-Portraits einer flirrenden Metropole drehen soll. Ein Film-im-Film-Szenario, das Dokumentarisches und Fiktionales schwer unterscheidbar vermischt. Denn bald fallen dem Regisseur auf seinen Filmbildern Spuren von Dingen und Menschen auf, die er beim Drehen kaum bemerkt hat. Wie Geister tauchen sie auf, schattenhaft. Ein zweiter, widerständiger Film hat sich gewissermaßen in den ersten, glatten eingeschlichen. Diese Entdeckung fasziniert den Regisseur Ben Hopkins, der sich in diesem Film, dessen fiktionalen Grundcharakter er betont, selber spielt, und so beginnt er, gezielt nach jenen „Geistern“ zu suchen. So zeigt er seinem Publikum das Istanbul, das es bislang nicht kannte: Es ist gleichzeitig verborgen und alltäglich, es ist das Istanbul jenseits aller Touristenattraktionen, aber auch jenseits der Nachrichtenbilder. Wir begegnen in den abgeschiedenen nächtlichen Gassen der Altstadt den Ausläufern der Gezi-Park-Proteste, die sich während der Drehzeit ereigneten, ebenso wie den Müllmännern, die die Stadt sauber halten und das, was sie aufsammeln, zu Geld machen. Wir sehen Menschen, die von Investoren vertrieben werden, den enormen Wandel der Stadt, der das alte Gesicht Istanbuls zerstört. Wir erleben zahllose Facetten dieser faszinierenden Brückenstadt zwischen Orient und Okzident, und bald vermischen sich Realität und Traum miteinander. Zugleich gibt es auch eine fiktionale Handlung, in der die persönliche, wohl eher fiktive Geschichte des Regisseurs erzählt wird: Vor langer Zeit verliebte er sich in Istanbul. Das erinnert an das von Orhan Pamuk in seinen Büchern öfters beschriebene Konzept des „Hüsün“, einer sehr speziell türkischen Variante der Melancholie, die auch stark mit der Vorstellung des selbstverschuldeten Scheiterns verbunden ist. Filmsprachlich mischt Hopkins Dokumentarisches und Spielszenen mit Kommentaren aus dem Off. Das überzeugt immer wieder, vor allem in der ersten Hälfte, aber nicht über die komplette Länge von 98 Minuten. Mitunter scheint es, als habe sich Hopkins nicht zwischen zwei Filmen entscheiden können oder wollen. Auch Politisches bleibt zu oft im Vagen: Durfte oder wollte Hopkins die Verantwortlichen für das von ihm Beschriebene nicht benennen? Warum wird nicht gesagt, dass der Wandel der Stadt und der Verlust an Modernität mit den Umtrieben der Regierungspartei, den Islamisten der AKP zu tun hat, die das Land zunehmend entdemokratisieren und in einen neo-osmanischen autoritären Staat verwandeln? „Hasret“ ist das türkische Wort für Sehnsucht. Sehnen tun sich die Menschen hier nach Freiheit, nach Frieden, Ben Hopkins, ein Brite, der in Hongkong geboren wurde, lebt seit gut einem Jahrzehnt in der Türkei und hat dort schon mehrere Filme gedreht – sein Blick ist daher keiner, der ganz von außen kommt. Die Haltung ist vielmehr die eines Liebhabers, der zwischen Innen und Außen steht. Hopkins’ melancholisch-sehnsuchtsvoller Filmessay zeigt uns auch die gespaltene Seele der türkischen Gegenwart. Und so ist dies ein sehr aktueller Essayfilm, der zwar nichts zum unmittelbaren Verständnis der komplexen Lage der türkischen Gesellschaft beiträgt, aber doch eine erste poetische, sinnliche, aber nicht allzu beschauliche oder gar einlullende Annäherung liefert.
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