Crossing The Bridge - The Sound of Istanbul

Musikfilm | Deutschland 2005 | 90 Minuten

Regie: Fatih Akin

Dokumentarfilm von Fatih Akin, der zusammen mit dem Bassisten Alexander Hacke die Musikszene Istanbuls erkundet, um dem Geheimnis der Millionen-Metropole auf die Spur zu kommen. 15 unterschiedliche Gruppen und Interpreten enthüllen ein gewaltiges Spektrum, das von Punk, Rock und HipHop bis zu Aynur oder traditionellen Saz-Virtuosen reicht und sich als brodelnder Schmelztiegel zwischen Orient und Okzident erweist. Das spannende Mosaik begründet seine transkulturellen Thesen zwar nur oberflächlich, macht durch eine ausgefeilte Soundspur und exzellente Musiker aber mit einem höchst vitalen Underground bekannt. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
corazon international/intervista digital media/NDR
Regie
Fatih Akin
Buch
Fatih Akin
Kamera
Hervé Dieu
Musik
Alexander Hacke
Schnitt
Andrew Bird
Länge
90 Minuten
Kinostart
05.07.2024
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Musikfilm | Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. einen Audiokommentar des Regisseurs Fatih Akin und Alexander Hacke sowie eine 40-minütige Dokumentation zum Film.

Verleih DVD
Edel Media (16:9, 1.78:1, DD5.1 dt.)
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Musikdokumentarfilm über die vitale Underground-Szene in Istanbul mit 15 unterschiedlichen Gruppen und Interpreten von Punk bis zu traditionellen Saz-Virtuosen.

Diskussion

Mit kühnem Schwung spannt sich die mächtige Brücke über den Bosporus, eine stählerne Lebensader, die angeblich nicht nur die beiden Teile Istanbuls, sondern auch Europa und Asien verbindet. Für die Musiker von Baba Zula aber liegt ihre Stadt weder im Westen noch im Osten. Deshalb chartern sie für Fatih Akins türkische Musik-Doku „Crossing The Bridge“ ein Boot und befahren einen Tag und eine Nacht lang die Meerenge, um beide Seiten mit ihrem psychedelischen 1970er-Jahre-Sound zu beschallen.

Ein aufregendes Happening

Das ist ein symbolisches, visuell wie auditiv höchst aufregendes Happening, das den Dokumentarfilm rahmt und gleichsam die Tonlage vorgibt: ironisch-melodiös, ernsthaft-verspielt, mehr der Neugierde und dem Experiment als einer strengen erzählerischen Logik verpflichtet. Dazu passt auch die Figur des Erzählers Alexander Hacke, dem hageren Bassisten der „Einstürzenden Neubauten“, der für „Gegen die Wand“ den Ton beisteuerte und jetzt mit vielen Koffern und Geräten erneut im Grand Hotel de Londres absteigt, wo einst die Protagonisten Sibel und Cahit ihr Wiedersehen feierten. Diesmal, so verrät Hacke aus dem Off, will er die Stimmen und Klänge in den Straßen Istanbuls aufnehmen, um über die Musik dem Geheimnis der Stadt auf die Spur zu kommen.

Hackes Off-Kommentare lassen mitunter zwar die lenkende Hand eines Autors erkennen oder klingen bisweilen wie Fatih Akin. Doch seine Figur erlaubt zugleich eine große Unmittelbarkeit, weil Hacke von den Musikern als ihresgleichen akzeptiert wird; zur Not springt er bei Baba Zula kurzerhand als Bassist ein oder rockt über die Bühne, wenn ihm der Groove in die Beine fährt.

Außerdem ist mit ihm auch das erkenntnisleitende Interesse des Films immer wieder im Bild präsent, da es zumindest im ersten Drittel erkennbar um Fragen nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten der Kulturen geht. Die Richtung gibt dabei ein Spruch von Konfuzius vor, dass man Tiefen wie Oberflächlichkeiten einer fremden Kultur am besten über ihre Musik versteht. Doch was ist „The Sound of Istanbul“? Der Spiegel einer stetig wachsenden 15 Millionen-Metropole, in der die verschiedensten Ethnien mit- und nebeneinander leben und das Stakkato der Moderne den Rhythmus des Alltags diktiert?

Sounds aus dem Underground

Hacke und Akin porträtieren 15 unterschiedliche Gruppen und Interpreten, die eine eindrucksvolle Vielfalt repräsentieren – und in sattem Dolby Surround-Klang ungeahnte Facetten enthüllen. Duman beispielsweise ist ein Vertreter des „Turkish-Rock“, einer ziemlich punkigen, gitarrenlastigen Grunge-Variante, die ihre Nähe zu Seattle gar nicht verleugnen will. Der Sänger verbrachte mehrere Jahre an der US-Westküste und begann aus Heimweh, Songs in Türkisch zu schreiben. Ceza hingegen ist die „türkische Antwort auf ,Public Enemy‘“, ein ernsthafter Typ, der die Bandwurmsätze der türkischen Sprache in stakkatoartiges HipHop zerhackt, aber statt Gangsta-Rap ausschließlich auf politische Inhalte setzt.

Im Szenenviertel Beyoglu pflegt die Gruppe Replikas eher artifizielle Rockmusik, während die Mitglieder des Projekts Orient Expressions auf ihren Plattentellern ostanatolische Klänge in ihre Beats und Loops mixen. Das sind vier Beispiele einer pulsierenden Underground-Kultur, die bei allen Unterschieden vor allem eines eint: die Fusion zwischen Orient und Okzident, die Verbindung traditioneller Elemente mit westlichen Einflüssen.

Auffällig ist dabei das Festhalten an der türkischen Sprache, das den musikalischen Brückenschlag am Bosporus beispielsweise von der westdeutschen Rock-Rezeption unterscheidet. Die Bemühungen eines Außenseiters wie Erkin Koray, der schon in den 1970er-Jahren damit begann, Songs in türkischer Sprache zu komponieren, haben anscheinend Früchte getragen; allerdings ist die analytische Durchdringung des Materials nicht unbedingt Akins Stärke, der als vertrauter Fremder den Reichtum und die Vielfalt der Szenen eher bestaunt als beleuchtet.

Schweigend dem Tag entgegen

Zudem lässt sich Fatih Akin zunehmend auf die traditionellen Wurzeln ein, wenn er von eingängigeren Beispielen sukzessive auf Traditionals ausgreift und etwa Orhan Gencebay besucht, den legendären Schauspieler und Saz-Virtuosen, oder der in der Türkei vergötterten Sängerin Sezen Aksu seine Aufwartung macht. Selbst minoritäre Richtungen wie die gypsylastige Tanzmusik von Selim Sesler oder die kurdischen Klagelieder von Aynur finden darin Platz.

Doch je bunter und „türkischer“ diese filmische Session wird, desto mehr verlangt es ein Interesse ab, Akin in die Ausdifferenzierungen zu folgen. Das Prinzip staunender Begeisterung droht sich im letzten Drittel sogar gegen die musikalische Recherche selbst zu wenden, da die additive Struktur auf Dauer ermüdet – was „Crossing The Bridge“ am Ende fast selbstironisch aufgreift, wenn das Boot mit Baba Zula schweigend dem Sonnenaufgang entgegengleitet und die Musiker den neuen Tag mit melancholisch-verzauberten Klängen begrüßen. Dem fürs Fernsehen produzierten Film hätte eine cineastischere Kamera und etwas mehr optische Sorgfalt gutgetan. Doch die ausgefeilte Soundspur und die exzellenten Musiker entschädigen für kleinere Unzulänglichkeiten.

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