Schön, wenn man, wie Sparra Farrell, die Leichen der Vergangenheit endgültig vergraben kann. Ein neues Leben mit seiner netten Freundin Paula, die verspricht, bald seine Frau zu werden; weitab von alten Wirkungsstätten und abgelegten Familienmitgliedern. Dumm nur, wenn die Brücken doch nicht ganz abgebrochen sind, die Mutter noch lebt und Postkarten aufhebt, die den letzten Wohnort verraten.
Und so steht plötzlich Pommie vor ihm. Ein alter Freund, wie Sparra seiner Verlobten beichtet. Eine charismatische Erscheinung; nicht im Sinne von sympathisch, sondern einschüchternd, von bulliger Gestalt und unberechenbarem Gemüt. Doch da Paulas Freundin Yvonne mit solchen Typen etwas anfangen kann, können die Vier am Wochenende erst einmal Party machen. Dass Pommie viel mehr vorhat als einen freundschaftlichen Besuch, ahnt Paula nicht. Denn sie weiß nichts von den vier Jahren, die Sparra mit Pommie in einer Gefängniszelle verbracht hat; sie weiß nichts über das besondere Verhältnis beider, das ihr Freund vergessen wollte; sie weiß nicht, wozu beide fähig sind!
Australien gehört augenblicklich zu den Ländern mit den innovativsten Genrefilmen. Das mag daran liegen, dass keine großen Studios in die Drehbücher eingreifen, womit die Filme weniger der Strategie der Boxoffice-Kompatibilität folgen müssen. Und so mischen sich mitunter etwas mehr Nihilismus, unbequemer Realismus und etwas weniger Happy Endings in die Plots. Oder man findet gar – wie in „Cut Snake“ – die Dekonstruktion tradierter Geschlechterkonventionen. Was in Hollywood allenfalls mal bei „Brokeback Mountain“
(fd 37 478) goutiert wird, findet hier ganz beiläufig und selbstverständlich statt, ohne dass es zwangsläufig tragend im Zentrum der Handlung stehen muss. Im Knast, das ist bekannt, ist alles denkbar; doch manchmal entwickelt sich aus „allem Denkbaren“ Zuneigung. Im Fall des jungen, gepeinigten Sparra eine Zuneigung, von der er in Freiheit dennoch zunächst nichts mehr wissen möchte. Pommie, der mit Gefühlen ohnehin nicht umgehen kann, stößt diese Ablehnung nicht nur vor den Kopf, sie macht aus dem latent psychotischen Mann einen Psychopathen. Das hebt – ganz im Gegensatz zu „Brokeback Mountain“ – auch die tradierte Heldenstruktur auf.
Identifikationsfigur ist hier keiner der beiden Protagonisten. Das ist mutig und entzieht den Film zudem der klassischen „Schwulen und Lesben“-Schublade. „Cut Snake“ ist ein Thriller über zwei Männer, die ihr Gefühlsleben nicht im Griff haben. Man könnte es Melodram nennen oder Psychodrama. Gut gespielt von einem Darstellerduo, das man eher aus Genreware kennt. Alex Russell (Sparra) kennt man aus „Carrie“ (2013; fd 42 086) und Sullivan Stapleton (Pommie) aus „300: Rise of an Empire“ (2013; fd 42 247). Beide verkörpern die Suchenden mit einer überzeugenden Rohheit, ohne Sentimentalität und dafür mit umso mehr Unsicherheit. Auch das ist ungewöhnlich und mag eine möglicherweise anvisierte schwule Zielgruppe vor den Kopf stoßen. Wenn am Ende die vertrackte Lage fast schon zwangsläufig in Gewalt eskaliert, bietet „Cut Snake“ den Protagonisten (und dem Zuschauer) nur scheinbar eine Katharsis. Manches ist eben nicht auflösbar. Da ist „Cut Snake“ – allen Genrekonventionen zum Trotz – plötzlich ganz nah am Leben.