Ein junger Aushilfslehrer tritt voller Elan eine neue Stelle in Rom an, stößt mit seinem Idealismus jedoch schnell an Grenzen, da lustlose Schüler das Unterrichten schwermachen. Sein Kollege, ein betagter Kunsthistoriker, hat längst resigniert und sich dem pädagogischen Zynismus ergeben. In kurzen, verdichteten Szenen fängt der Film treffsicher, bisweilen aber auch plakativ zentrale Probleme und Konflikte des modernen Schulalltags (nicht nur) in Italien ein. Aufgrund der Zeichnung seiner Figuren und der versöhnlichen Haltung gelingt es der Inszenierung nicht immer, die Institution Schule, das Leiden an ihr sowie Sinn und Wert von Bildung tiefgreifend zu durchdringen.
- Ab 14.
Rot und Blau (2012)
Drama | Italien 2012 | 98 Minuten
Regie: Giuseppe Piccioni
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Filmdaten
- Originaltitel
- IL ROSSO E IL BLU
- Produktionsland
- Italien
- Produktionsjahr
- 2012
- Produktionsfirma
- Bianca Film
- Regie
- Giuseppe Piccioni
- Buch
- Giuseppe Piccioni · Francesca Manieri
- Kamera
- Roberto Cimatti
- Musik
- Ratchev & Carratello
- Schnitt
- Esmeralda Calabria
- Darsteller
- Margherita Buy (Giuliana) · Riccardo Scamarcio (Prof. Giovanni Prezioso) · Roberto Herlitzka (Prof. Fiorito) · Silvia D'Amico (Angela Mordini) · Gene Gnocchi (Giulianas Freund)
- Länge
- 98 Minuten
- Kinostart
- 10.09.2015
- Fsk
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- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Feinfühliges Schul-Drama von Giuseppe Piccioni
Diskussion
Noch steckt der neue Latein-Lehrer Prezioso voller Ideale. Während sich sein ergrauter Kollege, der Kunsthistoriker Fiorito, ein Spezialist für die Klassik und Romantik, morgens mit stoischer Würde einen Weg durch die Menge bahnt, schwimmt Prezioso im Strom der Schüler mit. Der Neue tritt seine Stelle als Gleicher unter Gleichen an. Demokratie und Transparenz heißen seine Erziehungsmaximen, während er es mit Ordnung und Struktur nicht allzu genau nimmt. Denn er will seine Schüler zuallererst zu kritischen Denkern erziehen. Das „schnörkelige“ Gebaren seines Kollegen Fiorito befremdet ihn. Der spielt schon lange nicht mehr mit; die Schüler hält der universal Gebildete für stumpfe Gesellen, denen er „nichts“ vermitteln kann. Obwohl Prezioso fest daran glaubt, dass sein Erziehungsstil der richtige, weil der modernere, ist, wird er jedoch bald eines Besseren belehrt.
Der italienische Regisseur Giuseppe Piccioni hat nach der literarischen Vorlage von Marco Lodoli eine Parabel über die Institution Schule in Italien gedreht. Die Namen der Figuren sind sprechend. Und der Titel des Films eröffnet Raum für die Assoziation. Explizit bezieht er sich auf einen rot und blau schreibenden Stift, anhand dessen Prezioso klar wird, dass die Rollen eben doch nicht gleich verteilt sind, da ihm als Lehrer die folgenschwere Beurteilung des Schülers obliegt. Unwillkürlich muss man aber auch an Stendhals Roman „Rot und Schwarz“ (1830) denken. Wie der literarische Text wendet sich der Film gegen eine nutzen- und aufstiegsorientierte, seelenlose Bildung. Doch anders als Stendhal gibt sich Piccioni idealistisch, beschwört das Gute und Schöne. Der Lehrer Fiorito, der das Geschehen aus dem Off kommentiert, fasst wieder Mut, als ihn eine ehemalige Schülerin aufsucht. Er besinnt sich auf seinen erzieherischen Anspruch. Damit wird die Farbe Blau zu einem Symbol der Sehnsucht. Sie lässt sich ebenso mit der „blauen Blume“ der Romantik verbinden, einer Strömung, die Gegensätze zusammendachte, wie den Geist mit Herz und Leidenschaft. Allerdings weiß der Filmemacher sehr wohl darum, dass sein versöhnlicher Ton trügt. Er bricht die Illusion ganz im Zeichen der romantischen Ironie, etwa durch die Sicht auf seine Figuren und deren zuweilen lächerliches Auftreten.
Knapp und treffend spürt die Kamera bezeichnende Momente des Schulalltags auf, nähert sich ihnen, fängt das widersprüchliche Verhalten der Lehrer ein, ihr Wechselspiel von Nähe und Distanz, und entfernt sich wieder, wobei manches auch recht plakativ wirkt. Die ins Bild gesetzten Probleme und Konflikte gleichen denen an deutschen Schulen. Täglich sehen sich Prezioso und Fiorito mit Schülern konfrontiert, die lustlos zum Unterricht erscheinen und pausenlos stören. Nichts zu wissen, finden sie „cool“. Oder sie lernen wie der Schüler Adam den Stoff nur auswendig; Werte wie Autonomie und Humanität sagen ihnen nichts. Ihre Rebellion gründet oft darin, dass sie komplett mit ihrer eigenen, schwierigen Lage beschäftigt sind. Da sich die überforderten Eltern aus ihrer Verantwortung stehlen, soll die Schule immer mehr in die Fürsorge der Kinder investieren. Doch es mangelt an Geld; selbst saubere, mit dem Notwendigsten ausgestattete Toiletten werfen Probleme auf. An die dauerhafte Beschäftigung eines Sozialarbeiters ist erst gar nicht zu denken.
Die Knappheit der Güter ist ein Aspekt des zentralen Problems, für das der Film stimmige Bilder erfindet. Denn bei der Bildung geht es auch darum, „drinnen“ oder „draußen“ zu sein. Bekommt der Schüler Anteil am sozio-kulturellen Reichtum einer Gesellschaft oder bleibt ihm dieser verschlossen? Lernt er, sich innerlich zu steuern, oder wird er außengesteuert? Die Direktorin sorgt dafür, dass das, was herausfällt, ein Schüler, ja selbst ein Fußball, wieder nach drinnen geschafft wird. Dies aus der Angst heraus, dass ein Mensch ganz aussteigen könnte, wenn sein Inneres leer ist. So wie es der berufs- und lebensüberdrüssige Fiorito anfangs vorhat, der auf das Fensterbrett klettert, um sich in die Tiefe zu stürzen. Aber Piccioni ist weder Marco Bellocchio noch Luchino Visconti noch Paolo Sorrentino. Er rückt der Institution nicht zu Leibe, er malt nicht episch breit, er gibt sich nicht radikal dem „Nichts“ anheim. Als sich der Lehrer gerade aus dem Fenster hinausstürzen will, hindert ihn ein heranfahrendes Baustellenfahrzeug daran. Am Ende ist ein abgezirkelter, hübscher kleiner Grünstreifen entstanden, auf dem anmutig zwei Bäumchen stehen.
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