Die Nacht zum 8. November 1939. Schwer atmend stellt Georg Elser den Zeitzünder. Tags darauf explodiert die Bombe unter dem Rednerpult im Münchner Bürgerbräukeller. Auf die Sekunde genau und doch 13 Minuten zu spät. Adolf Hitler verließ den Versammlungsort vorzeitig. Die Rechnung des 36-jährigen Schreiners Elser ging nicht auf, nach dem Überfall auf Polen den Krieg zu verhindern.
Im Gegensatz zu seinem Führerbunker-Drama „Der Untergang“
(fd 36 679) widmet sich Oliver Hirschbiegel in „Elser“ der anderen Seite Nazi-Deutschlands: der des Widerstands. Er zeigt Elsers Verhaftung, brutale Verhöre und bedrückende Folterszenen. Elser ist Einzeltäter. Doch im Berliner Reichssicherheitshauptamt wird mit allen Mitteln versucht, eine Verschwörung hinter dem Delinquenten aufzudecken – und zur Not auch zu konstruieren.
Das viertägige Verhör Elsers durch die Gestapo in Berlin ist der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Wie bei Marc Rothemunds ähnlich strukturiertem Spielfilm „Sophie Scholl – Die letzten Tage“
(fd 36 917) heißt der Drehbuchautor Fred Breinersdorfer. Man spürt, wie genau der Autor auch hier Gestapo-Alltag und Schreckensroutine recherchiert hat. Im Verhörraum wird Elser an einen Bettrost gefesselt. Bevor sie ihn foltern lassen, schieben Gestapo-Leiter Heinrich Müller und der Chef des Reichskriminalamts Arthur Nebe eine Emaille-Schüssel unters Bett. Sie wissen, dass die gequälten Häftlinge sich erbrechen. Ein besonders eindringliches Bild: Die Protokollführerin hat den Raum verlassen, Elsers Schreie dringen bis auf den Gang, wo die Frau ohne ein Zeichen innerer Regung ein Buch liest. Die Kamera fährt langsam auf sie zu. Was empfindet diese Frau? Wie stumpf macht Mitläufertum?
Auf der Täterseite zeigen Breinersdorfer und Hirschbiegel vielschichtige Charaktere statt Klischee-Nazis. Johann von Bülow spielt Müller als cholerischen Sadisten, der Opportunist Nebe (Burghart Klaußner) wirkt eine Spur menschlicher, vielleicht steckt bei ihm auch nur Kalkül dahinter. Nebe bringt Elsers Geliebte Elsa Stephan zum Verhör: „Erklären Sie mal Ihrem Mädchen, warum Sie das getan haben!“, herrscht ihn Nebe an. Sein Plan geht auf. Elser gesteht, um Schaden von Elsa abzuwenden. Nebe glaubt Elser, dass er das Attentat allein geplant hat. Aber warum? Elser: „Ich war ein freier Mensch. Wenn der Mensch nicht frei ist, stirbt alles.“
Immer wieder blendet Hirschbiegel zurück in Elsers Vergangenheit auf der Schwäbischen Alb: so genannte einfache Verhältnisse, Sorgen um die Eltern, der Alkoholismus des Vaters, aber auch das Sommerbad im Bodensee, Elser als Womanizer, als geschickter Tangotänzer und Gelegenheitsmusikant. Bis die Zeit der Repression anbricht, der Antisemitismus grassiert und die lokalen Kommunisten, von Elser halbherzig unterstützt, den Kampf gegen die Nazis aufnehmen.
Nach Klaus Maria Brandauer, der Elser mit seinem Regiedebüt „Georg Elser – Einer aus Deutschland“
(fd 27 938) ein filmisches Denkmal setzte und auch die Hauptrolle spielte, verkörpert nun Christian Friedel die Titelfigur. Brandauer spielte Elser sehr minimalistisch, als wortkargen Asketen. Friedel wirkt diesseitiger, in retrospektiven Momenten auch lebenslustiger. Der Hauptdarsteller lässt Bedrückung und Todesangst quasi als Negativ einer brennenden Liebe zum Leben erscheinen. Damit erfüllt er kongenial die Konzeption der Rückblenden als „Heimatfilm“, weil hier einer begreift, dass die geliebte Heimat vom Staatsterror zerstört wird. Das fängt mit den Braunhemden an, die sich im Wirtshaus breit machen, und gipfelt in einer Szene auf dem Marktplatz der schwäbischen Gemeinde Königsbronn: Eine junge Frau sitzt dort, mit einem Schild um den Hals: „Ich bin am Ort das größte Schwein und lass mich nur mit Juden ein“. Um sie herum die feixende Menge. Auch die Episoden um Elsers engsten, von den Nazis in ein Konzentrationslager verschleppten Freund Josef Schurr fügen sich ins Bild einer zerfallenden Welt. Der Film macht den Mut eines an den Verhältnissen Verzweifelnden begreiflich, der sich aufmacht, seinen „persönlichen Feind“ (als den Elser Hitler wirklich betrachtete) in die Luft zu sprengen.
Das hätte genügt, um die trotzige Zielstrebigkeit der Hauptfigur zu motivieren. Dass Elser den Nationalsozialismus hier aber auch intellektuell bis ins Kleinste zu durchdringen scheint, wirkt dann doch etwas übertrieben. Breinersdorfer erfindet am Rand des Verhörs einen Kniefall des Attentäters, den die Protokollantin heimlich den Angehörigen unschuldiger Attentatsopfer überbringt. Widersprüche, kleine Flecke auf der Heldenmontur kann man stehen lassen. Der NS-Wahn wird dadurch ja nicht humaner.
Neben Friedel begeistert Burghart Klaußner als Kripo-Chef Nebe. Seine Figur sorgt für eine authentische Klammer zwischen Elsers Widerstand und dem Attentat vom 20. Juli 1944. Nach einem Zeitsprung wird die Hinrichtung von Nebe, der Stauffenberg unterstützt haben soll, im März 1945 in Berlin-Plötzensee gezeigt. Eine vielsagende Volte: Nebes explizit-qualvoller Tod durch Erhängen tritt an die Stelle der Erschießung Elsers einen Monat später in Dachau, die Hirschbiegel pietätvoll weg lässt. Offenbar hat der Regisseur aus den negativen Kommentaren zum „Untergang“ Konsequenzen gezogen. So hatte beispielsweise Wim Wenders Hirschbiegel vorgeworfen, trotz deutlichster Gewaltdarstellungen um den Führerbunker herum ausgerechnet Hitlers Selbstmord ausgeklammert zu haben: „Warum zeigt man nicht, dass das Schwein endlich tot ist?“. Indem Nebes „Wandlung“, so sie denn eine war, kaum mehr als eine Chiffre bleibt, verweist das Kino auf seine Grenzen: Wer mehr über Elser oder den Widerstand im Nationalsozialismus erfahren will, muss Bücher darüber lesen.