Beim Frühstück auf dem Bauernhof der Familie Bélier klettert der Lärmpegel unangenehm nach oben: Geschirr knallt auf den Tisch, Stühle schrammen über den Boden, Schubladen werden zugepfeffert und auch beim Kauen wird keine Zurückhaltung geübt. Die Ohren des Zuschauers schmerzen bei dieser Geräuschkulisse genauso wie die der Jugendlichen Paula, während ihre Eltern und ihr Bruder ungerührt mit ihrem Radau fortfahren. Aus nachvollziehbaren Gründen freilich: die drei sind gehörlos und haben keine Vorstellung von einer dezenten Lautstärke, die Rücksicht auf Paulas Gehörvermögen nehmen würde. Das in diesem Moment zusätzlich gereizt ist, weil sie wegen einer Kalbsgeburt und der Hilfe bei den Verhandlungen mit dem Tierarzt mal wieder eine schlaflose Nacht verbracht hat. Auf dem Weg zur Schule setzt sich das Mädchen dann erst einmal dicke Kopfhörer auf, um sich mit lauter Musik zumindest zeitweise nach den eigenen Bedürfnissen beschallen zu lassen und die Außenwelt zu verdrängen. Regisseur Éric Lartigau etabliert damit gekonnt das Spannungsfeld, in dem seine Figuren agieren: Die diametralen Welten der Gehörlosen und der Hörenden, die übermäßige Anforderung an eine Jugendliche, eine Übersetzerrolle zwischen den beiden Sphären zu spielen, die Musik als Rückzugsraum und im weiteren Handlungsverlauf als Berufung der Protagonistin. „Verstehen Sie die Béliers?“ hat damit eine ähnliche Prämisse wie „Jenseits der Stille“ (fd 32 278), wenngleich der Stoff hier nicht als stilles Melodram mit poetischen Anflügen in Szene gesetzt ist, sondern als unterhaltsame Feel-Good-Komödie im Stil erfolgreicher Vorgänger wie „Ziemlich beste Freunde“ (fd 40 842). Der Humor fällt mitunter recht ruppig und auf typisch französische Weise überzogen aus: Die Reibung der Gehörlosen mit der Welt um sie herum führt immer wieder zu peinlichen Situationen, vor allem für Paula, wenn sie etwa beim Arzt die Geschlechtskrankheiten ihrer Eltern erläutern muss oder diese mit penetrantem Autohupen der ganzen Schule anzeigen, dass sie ihre Tochter abholen wollen. Auf der anderen Seite muss Paula immer wieder ihre Familie verteidigen, vor allem gegenüber dem ignoranten Bürgermeister, der sich körperliche Behinderungen nur in Kombination mit einem beschränkten Geist vorstellen kann. Lartigaus Ansinnen, solche Vorurteile als Dummheit zu entlarven und die „Normalität“ der Gehörlosen zu betonen, ist sympathisch, geht aber nicht durchgehend auf: Trotz allem Bemühen um eine offene Haltung ist der Film nicht frei von Szenen, in denen das Verhalten der Béliers fast wie das von Aliens wirkt. Aufgefangen wird das durch die geglückte Verknüpfung der skurrilen Momente mit einer warmherzigen Darstellung des Familienverbands. Dass die Béliers so sehr aufeinander angewiesen sind, schweißt sie enger zusammen – wodurch wiederum Paulas Bedürfnis nach einem eigenen Leben einen größeren emotionalen Beiklang erhält. Als sie dem Schulchor beitritt und durch die schroffe, aber aufrichtige Förderung des Chorleiters eine außergewöhnliche Gesangsstimme entdeckt, beschwört das den zentralen Konflikt herauf: Wie soll sie ihrer Familie vermitteln, dass sie womöglich nach dem Schulabschluss den Bauernhof ausgerechnet für eine Ausbildung als Sängerin verlassen wird? Die Inszenierung versteht es geschickt, dieses Dilemma nachvollziehbar zu machen, auch wenn der versöhnliche Ausgang nie in Frage steht. Paulas Versuche, ihr Gesangstalent vor den Eltern zu verheimlichen, führen zu ebenso glaubwürdig-berührenden Szenen wie die recht heftigen Reaktionen nach der Aufdeckung des Geheimnisses. Zu verdanken ist das dem einfühlsamen Spiel der Darsteller: Karin Viard bewahrt sich als gefühlvolle Mutter durch ihren gestenreichen Stil ihre Ausdruckskraft, während François Damiens als sympathisch-stures Familienoberhaupt an seine vergleichbar liebenswerte Vater-Rolle in „Die unerschütterliche Liebe der Suzanne“ (fd 42 433) anknüpft. Eric Elmosnino bietet einen köstlichen Auftritt als überdrehter, unsensibler Pädagoge mit enormem Ego („Zweifeln Sie an allem, aber niemals an mir!“) und einen idealen Kontrapunkt für die Hauptdarstellerin Louane Emera. Die Filmdebütantin, die hierfür den „César“ gewann, verkörpert Paulas Unsicherheit und wachsenden Mut so überzeugend natürlich, dass sie den Film selbst dort erdet, wo er schrill und unglaubwürdig zu werden droht. Angesichts ihrer Leistung fällt es dann auch nicht groß ins Gewicht, dass der Film in der Tradition von „Willkommen bei den Sch’tis“ (fd 38 956) mal wieder ungebrochen eine „heile“ französische Provinzwelt heraufbeschwört.