Liebe geht seltsame Wege (2014)

Drama | USA/Frankreich/Brasilien/Griechenland 2014 | 94 Minuten

Regie: Ira Sachs

Für ein seit nahezu 40 Jahren liiertes Künstlerpaar in New York, der eine ein 71-jähriger Maler, der andere ein etwas jüngerer Gesangslehrer, ist endlich der Tag gekommen, an dem die Gesellschaft, die sie toleriert, aber nicht integriert hat, ihnen erlaubt zu heiraten. Die beiden geben sich das Ja-Wort, ecken aber mit dem Bistum an, das für die katholische Schule zuständig ist, in der der Lehrer als Chorleiter arbeitet und der nun entlassen wird. Gezwungen durch das stark eingeschränkte Einkommen, schlüpfen sie bei Verwandten und Bekannten unter, was auf Dauer zu Spannungen und Konflikten führt. Differenziert inszenierter, in den Hauptrollen ruhig und einfühlsam gespielter Film, der sich zum melancholischen Porträt tief empfundener menschlicher Zusammengehörigkeit und alle widrigen Zeiterscheinungen überdauernder Liebe verdichtet. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
LOVE IS STRANGE
Produktionsland
USA/Frankreich/Brasilien/Griechenland
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Parts and Labor/ Charlie Guidance/Mm...Buttered Panini Prod.
Regie
Ira Sachs
Buch
Ira Sachs · Mauricio Zacharias
Kamera
Christos Voudouris
Schnitt
Affonso Gonçalves · Michael Taylor
Darsteller
John Lithgow (Ben) · Alfred Molina (George) · Marisa Tomei (Kate) · Charlie Tahan (Joey) · Cheyenne Jackson (Ted)
Länge
94 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Verleih DVD
Sony (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl./dt.)
DVD kaufen

Die Filmgeschichte ist voller Szenen am Hochzeitstag: eilfertige Vorbereitungen, komische Nervosität. Auch Ira Sachsʼ Film beginnt mit einem Hochzeitstag. Doch wie anders alles hier aussieht! Die ungeduldigen Klischee-Erwartungen werden allenfalls andeutungsweise befriedigt.

Diskussion
Die Filmgeschichte ist voller Szenen am Hochzeitstag: eilfertige Vorbereitungen, komische Nervosität. Auch Ira Sachs’ Film beginnt mit einem Hochzeitstag. Doch wie anders alles hier aussieht! Die ungeduldigen Klischee-Erwartungen werden allenfalls andeutungsweise befriedigt. Was bei den Heiratsvorbereitungen eines längst seiner Bohème-Zeit entwachsenen homosexuellen Paares im Vordergrund steht, sind die über langes Beisammensein gewachsene Zuneigung und Sorge füreinander und das von ihren kulturellen Neigungen beherrschte Milieu, in dem sie leben. Nach wenigen kurzen Filmminuten kommen einem diese beiden bereits vertraut vor, so als gehörten sie dem eigenen Freundeskreis an. Ben, mit 71 der Ältere von ihnen, ist Maler, George, der um etliche Jahre Jüngere, Musiklehrer an einer katholischen Schule New Yorks. Seit 39 Jahren leben sie zusammen. Jetzt, spät in ihrem Leben, ist der Tag gekommen, an dem die Gesellschaft, die sie toleriert, aber nicht integriert hat, ihnen erlaubt, zu heiraten. „Love Is Strange“, so der Originaltitel, gestattet der festlichen Zeremonie nur ein paar – ebenfalls recht unkonventionelle – Momente, dann kehrt der Film zum Alltag der alten Jungvermählten zurück, zur Routine ihres behutsamen Lebens miteinander, aber auch ihren unterschiedlichen Denkweisen. Was die Krönung ihres Daseins sein könnte, offenbart jedoch rasch die Fallen, die die Realität allzu bequemer Harmonie entgegenstellt. George verliert seine Anstellung, und auch Ben ist nicht gerade auf Rosen gebettet, was seine Finanzen angeht. Sie müssen die für heutige New Yorker Verhältnisse sehr angenehme Wohnung, in der sie seit Jahrzehnten leben, verkaufen und auf die Suche nach einer kleineren Unterkunft gehen. In der Zwischenzeit kriechen sie bei wohlmeinenden Freunden und entfernten Verwandten unter. Zum ersten Mal sind sie getrennt und versuchen sich mehr schlecht als recht mit Umständen abzufinden, die ihre Geduld und Anpassungsfähigkeit auf harte Proben stellen, ihnen aber gleichzeitig bewusst machen, wie sehr sie sich fehlen. Ira Sachs’ Film ist einer jener ruhigen Filme, die von der Geschäftigkeit Hollywoods ganze Welten entfernt sind. Sachs hat von den Filmen Yasujiro Ozus und John Cassavetes’ gelernt, auch von der leisen Intimität Maurice Pialats, dessen Werk er sich besonders verbunden fühlt. Er hat sich mit John Lithgow und Alfred Molina zwei Darsteller ausgesucht, die in ihre Figuren die Erfahrungen großer Schauspielerkarrieren einbringen. Sie lassen Ben und George mit allen ihren Vor- und Nachteilen wie von innen leuchten. So wie die Darstellung zurückgenommen ist auf kleine Zeichen, die mehr in die Seelen als auf Äußerlichkeiten blicken lassen, so versagt sich Sachs auch als Autor und Regisseur alle auftrumpfenden Augenblicke. Die oft gespannten Verhältnisse im Haus von Bens Neffen und dessen Frau, die als Schriftstellerin ihrerseits Harmonie und Ruhe braucht, um arbeiten zu können, oder in der lauten Wohnung von zwei partyhungrigen Polizisten, bei denen George zeitweiligen Unterschlupf findet, könnten genügend Gelegenheiten für dramatische Entwicklungen bieten, die Sachs jedoch nach Kräften vermeidet. Wenn es ein beherrschendes Gestaltungsmerkmal gibt, dann ist es die Konsequenz, mit der Sachs alle Höhepunkte ausspart: Stets ist ihm wichtiger, was der Zuschauer fühlt und denkt, als was er als Autor zur Lösung einer bestimmten Situation anbieten könnte. Dadurch entwickelt sich ein äußerst feinfühliger, für die Mitwirkung des Publikums offener Stil, der ganz organisch durch die melancholische Klaviermusik Frédéric Chopins unterstützt wird. Obwohl mit Ben und George ein homosexuelles Paar im Mittelpunkt des Films steht, ist der Film weit davon entfernt, ein argumentativer Schwulenfilm zu sein. Er ist im Gegenteil einer der selbstverständlichsten Filme über Schwule, die bisher gemacht wurden. Mit dem Kunstgriff der Integration einer ebenfalls nur angedeuteten Parallelgeschichte über den Sohn von Bens Neffen, der mitten in der Pubertät steckt und sich seiner Gefühle klar werden muss, rückt Sachs die Story unmerklich ins Allgemeinverbindliche und vermag sich so ein Ende zu leisten, das schöner und bewegender kaum vorstellbar ist. „Liebe geht seltsame Wege“ ist letztlich kein Film über Homo- oder Heterosexuelle, sondern ganz einfach ein Film über die Liebe und all ihre Begleiterscheinungen, wo immer im Leben sie uns auch begegnen mögen.
Kommentar verfassen

Kommentieren