Im Luftraum über der Wiese geht es zu wie in einer Großstadt. Bienen schwirren durch die Luft, Schmetterlinge und Libellen. Dazu eine wilde Geräuschkulisse aus Hupen und Motorenknattern, wenn die Insekten in dem Getümmel aneinander, über- und untereinander vorbeirasen. Ein Wunder, dass es in diesem Gewimmel nicht zu einem Unfall kommt. Eingeschüchtert warten unterdessen zwei Marienkäfer unter einem großen Blatt darauf, dass ihr Nachwuchs schlüpft. Doch kaum sind die drei Kleinen da, erheben sie sich schon in die Lüfte, um die Welt zu erkunden. Da wird auch schon einer von ihnen durch ein paar hässliche rotäugige Fliegen von seiner Familie getrennt und bei seinem Fluchtversuch überdies noch an einem Flügel verletzt.
Insekten sind die Protagonisten dieser französischen Computeranimation. Allerdings nicht solche, wie man sie aus Filmen wie „Das große Krabbeln“
(fd 33 530) oder „Antz“
(fd 33 404) kennt. Denn wie schon in der zugrundeliegenden und in Frankreich sehr beliebten Fernseh-Serie „Minuscule – La vie privée des insectes“ verzichtet der Film komplett auf gesprochene Sprache und lebt ganz und gar von der Mimik und Gestik der Figuren, von Slapstick und Situationskomik sowie der originellen visuellen und akustischen Gestaltung.
Vor dokumentarischen Aufnahmen aus den Ecrins- und Mercantour-Nationalparks und vor Studiobauten lassen Hélène Giraud und Thomas Szabo die computeranimierten kleinen Helden auftreten, was den Bildern einen schönen Realismus verleiht, ohne die künstlichen Figuren fremd wirken zu lassen. Stimmig passt sich deren Look, der sich an echten Insekten orientiert, in Aussehen und Bewegungen aber cartoonähnlich überzeichnet ist (Jack Hannahs Donald-Duck-Kurzfilm „Tea For Two Hundred“ von 1948 lässt grüßen), an die authentischen Bilder an.
Ins Zentrum der Handlung rückt eine prall gefüllte Zuckerdose, in der der flugunfähige Marienkäfer Zuflucht findet, und für die sich auch ein schwarzes Ameisenvolk interessiert. Die Leit-Ameise hegt Sympathien für den Marienkäfer, der sogleich gute Ideen zur Bergung des süßen Schatzes beisteuert – und sich überdies als mutiger Helfer entpuppt, als ein rotes Ameisenvolk den schwarzen Ameisen ihre Beute streitig machen will.
Von Anfang an sind die Sympathien klar verteilt: Der verwaiste Marienkäfer und die schwarze Ameise sind das ungleiche Helden-Duo des Insekten-Buddy-Movies, rotäugige Fliegen und rote Ameisen hingegen die gierigen und frechen Gegenspieler, mit denen das Publikum sogar angesichts eines sich rasant nähernden Autos keinerlei Mitgefühl empfindet. Dem Humor des Films schadet dies allerdings nicht.
Anders verhält es sich mit dem dramaturgischen Aufbau. Gestaltet sich der abenteuerliche Hindernisparcours des Marienkäfers mitsamt der Flucht vor dem roten Ameisenvolk, der unter anderem in eine mitreißend inszenierte Wildwasserfahrt mündet, als abwechslungsreich und amüsant, wird dem finalen Miniaturkrieg der Ameisenvölker viel zu viel Raum eingeräumt. Die fantasievolle Ausgestaltung des Konflikts ist sicherlich immer noch komisch, wenn arglos weggeworfener Zivilisationsmüll wie Insektenspray, Feuerwerkskörper und Zahnstocher als Waffen zum Einsatz kommen oder die virtuelle Kamera während der Belagerung der roten Ameisen entfesselt über das Schlachtfeld fliegt und die Massenszenen aus der „Herr der Ringe“-Trilogie in Erinnerung rufen. Die Handlung allerdings stagniert ab diesem Zeitpunkt und erweist sich als wenig einfallsreich. Ruhige Momente, in denen das Verhältnis zwischen der schwarzen Ameise und dem jungen Marienkäfer ausgespielt wird, bleiben hingegen um so mehr im Gedächtnis.
Der Film ist der Comic-Legende Jean Giraud (aka Moebius) gewidmet, dem Vater der Co-Regisseurin Hélène Giraud. Bei ihm wären die Insekten wahrscheinlich nicht so brav ausgefallen. Eine fantastische, in sich geschlossene Welt aber hat der Film trotzdem geschaffen.