Dokumentarfilm | Brasilien 2014 | 95 Minuten

Regie: Davi Pretto

Nachts tritt der brasilianische Travestiekünstler João Carlos Castanha in kleinen Theatern und Bars auf, tagsüber teilt er sich mit seiner Mutter eine kleine Wohnung in Porte Alegre. Der 52-Jährige hat seine besten Jahre hinter sich, ist krank, hat Weggefährten und Liebhaber verloren, wirkt müde und ausgelaugt. Das semidokumentarische Porträt zeichnet die charismatische Figur zwischen Leben und Tod, Erinnerungen und einer Realität zwischen Bühnenlicht, Arztbesuchen und häuslichem Zusammenleben. Sein feines Gespür für Rauminszenierungen verleiht dem Debütfilm dabei eine eindringliche Atmosphäre. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
CASTANHA
Produktionsland
Brasilien
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Tokyo Filmes
Regie
Davi Pretto
Buch
Davi Pretto
Kamera
Glauco Firpo
Musik
Diego Poloni
Schnitt
Bruno Carboni
Darsteller
João Carlos Castanha (Castanha) · Celiana Castanha (Celina, Mutter) · Francisco Jairo da Silva (Jairo, Vater) · Gabriel Nunes (Marcelo, Neffe) · Zé Adão Barbosa (Zé, Theaterregisseur)
Länge
95 Minuten
Kinostart
06.11.2014
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Grelles Neonlicht, ein Stromkasten an der Wand, durch die Tür klingen stampfende Rhythmen. Der Schauspieler und Travestiekünstler João Carlos Castanha sitzt in einem schäbigen Gang, der als improvisierte Garderobe dient, und schminkt sich. Der Kontrast des Ambientes und der blumigen Ankündigung von Joãos Auftritt als zotiger Diva im roten Bob, mit dunklen, überschminkten Lippen und Perlenketten behangen, könnte kaum größer sein: „ ...mit ihrer Schönheit, Sinnlichkeit, Boshaftigkeit ... und ihrem Duft, für Euch: Maria Helena Castanha“. Die Flure, Hinter- und Durchgangszimmer in Davi Prettos „Castanha“ sind symptomatisch für das Leben des 52-jährigen João: Er führt eine Existenz zwischen Bühnenlicht und Halbdunkel, eine Existenz im Übergang, geprägt von retrospektiven Blicken in die flamboyanten 1980er-Jahre, bevor Liebhaber, Freunde und Weggefährten an Aids starben, und von Fantasien und Gedanken, die um den Tod kreisen. Im Dazwischen bewegt sich auch der Film, der auf der Grundlage von Gesprächen entstand, die der 26-jährige Regisseur mehrere Monate lang mit dem Travestiekünstler aus Porte Alegre führte: Nicht immer ist klar, wo das Dokumentarische endet und das Fiktive beginnt; „Castanha“ verbindet unaufdringlich inszenierte Szenen mit präzisen Beobachtungen, wobei die Hauptfigur selbst nie ganz zu greifen ist. Pretto hat ein gutes Gespür für die Inszenierung von Räumen, für die Figuren darin sowie und für Licht. Auch Joãos Wohnsituation – er teilt sich mit seiner Mutter und ihren Hunden zwei Zimmer in einer abgeriegelten Wohnanlage – ist ein Schattenreich. Der Film zeigt Mutter und Sohn oft im Halbdunkeln auf dem Bett sitzend und redend; die Intimität zwischen ihnen ist anrührend. Die Mutter macht sich Sorgen, wenn João im Nachtleben verschwindet. Sie würde sich eine andere Arbeit für den Sohn wünschen. Gleichzeitig ist aber klar, dass er nie etwas anderes machen wird. Das Leben auf den Straßen ist wie weggeschlossen; präsent ist es freilich durch Radio und Fernsehen: Die Berichte von den Demonstrationen ziehen sich wie ein Grundrauschen durch den Film. Latente Gewalt geht auch von dem Enkel Marcelo aus, auch er ein Todgeweihter oder, wie João es nennt, „ein Satan, ein Teufel“. Marcelo ist drogenabhängig, manchmal schleicht er nachts um die Wohnanlage und wirft Blumentöpfe, oder er dringt auf der Suche nach Geld in das Apartment ein. Die Enge der Wohnung ist bedrückend; immer wieder setzt der Film Fenster ins Bild, die allerdings keinen freien Blick eröffnen, sondern vielmehr auf die räumliche Begrenztheit verweisen. Einmal spiegelt sich das Bild des Fernsehers in der Fensterscheibe – jeder Schritt nach draußen wird mit einer erneuten Innenperspektive beantwortet.
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