„Das ist ja widerlich“, raunt eine Mutter den jungen Joe an und zieht ihr Kind über den Bürgersteig hinter sich her. „Ja“, stimmt Joe reflexartig zu und schämt sich, marschierte er doch kurz zuvor selbst bei „den Perversen“ mit. Es ist 1984, durch Londons Straßen zieht die Gay Pride und Joes Eltern haben keinen blassen Schimmer von der bunten Truppe, zu der sich ihr Sohn immer häufiger gesellt. Hier lernt Joe Mark kennen, jung und schwul wie er, nur mit viel mehr Selbstbewusstsein und Willen zur Veränderung. Die scheint in der restriktiven Ära von Margaret Thatcher bitter nötig – genauso wie die Solidarisierung mit denen, die gegen Thatchers eiserne Schließung von Kohlezechen gerade einen Streik mit existenziellen Folgen ausfechten: den Minenarbeitern.
Und so drückt Mark seinen Freunden bunte Plastikeimer in die Hand, mit denen sie für die Kumpel sammeln sollen. „LGSM – Lesbians and Gays Support the Miners“ ist geboren, nur dass die Bergarbeiter-Verbände jede Verbindung, oder besser gesagt jede Telefonleitungen, die Mark aufbaut, sofort kappen, sobald sie vernehmen, wofür „LGSM“ steht. Keiner will ihr Geld nehmen, bis auf diesen kleinen walisischen Ort namens Onllwyn, der einen „Botschafter“ vorbeischickt und die Aktivisten daraufhin selbst zu sich in die Pampa einlädt. Dort wurzelt das konservative Gedankengut zwar nicht bei allen, bei einigen aber doch sehr tief.
„Pits and Perverts“ – Zechen und Perverse, das sind die Grundpfeiler der Brücke, die 1984 tatsächlich von einem Aktivisten namens Mark Ashton zwischen Minenarbeitern und Gay-Community geschlagen wurde. Ashton drehte den Spieß um und wandelt die „The Sun“-Beschimpfung zum Teiltitel eines Solidaritätskonzerts, bei dem sogar „Bronski Beat“ auftraten. Dabei ist Ashtons Vorpreschen nur eine kleine Anekdote in der Geschichte eines Zwiespalts um die Verlierer des Neoliberalismus, der vor 30 Jahren und zuletzt 2013 mit Thatchers Tod eine Nation in zwei Lager auseinanderbrach. „Pride“ betitelt dabei weniger den Stolz, schwul oder Arbeiter zu sein, als vielmehr das Selbstverständnis, als Individuum im Schulterschluss mit anderen tatsächlich etwas verändern zu können – ein Gefühl der Wertigkeit, das mittlerweile erstickt scheint.
Mark und seine Freunde versuchen einen Stolz aufrechtzuerhalten, der nicht nur punktuell an der Infektions-Krankheit AIDS, sondern ständig an der Ablehnung der eigenen Eltern zu zerbrechen droht. „Pride“ spielt dennoch weniger auf der Klaviatur des Leids als vielmehr auf der des Feel-Good-Movies, das eine rührende Annäherung zweier angefeindeter Gruppen im Moment ihrer Emanzipation sucht und eine Katharsis im Einstehen für die gerechte Sache erreicht. Die schwulen Protestler erfahren dabei eine Sympathiebekundung, die überschäumt, den Figuren und ihren Konflikten untereinander aber auch die Tiefe nehmen könnte, wären sie nicht so vielfältig angelegt. Auch in „Pride“ gibt es Standard-Szenen, die augenscheinlich in keiner britischen Sozialkomödie fehlen dürfen: Onllwyns Hausfrauen, die sich über Dildos und Dark Rooms „beömmeln“, oder die Single-Männer des Ortes, die den Reiz eines Disco-Hüftschwungs auf die Damenwelt entdecken. Ins Stolpern gerät die Inszenierung von Theater-Regisseur Matthew Warchus dabei aber nicht. Ohne großes filmisches Aufmerksamkeitsringen erzählt sein Film eine ergreifende Geschichte, bei der Schmunzeln und Schluchzen nah beieinander liegen und die Stimmung des Synthie-Glamour und des Aufbruchs ebenso intensiv eingefangen wird wie die Engstirnigkeit, die bis heute zum Ausschluss Andersdenkender führt. Dabei läuft alles auf jenes versöhnliche Solidaritätsbild hinaus, das auf dem 100 Jahre alten Banner der Minenarbeiter aus Onllwyn abgebildet ist und ein Jahr später die Gay Pride von 1985 anführt: Zwei Arme, die sich aus entgegen gesetzten Richtungen die Hände reichen und diese nicht mehr loslassen.