Drama | Portugal 2014 | 104 Minuten

Regie: Pedro Costa

Ein von den Kapverdischen Inseln stammender Immigrant fristet in einer alten, verwinkelten Nervenheilanstalt ein elendes Dasein. In seinen Erzählungen vermischen sich Erinnerungen, Bekenntnisse und Fantasien, Zeit- und Realitätsebenen. Als wiederkehrendes Trauma scheint die portugiesische Kolonialvergangenheit auf, die Regisseur Pedro Costa in die Gegenwart hineinwirken lässt; damit schreibt er seine Fontainhas-Filme fort, wobei er die digitale Technik zur Modellierung eines geisterhaft-überzeitlichen Raums nutzt. Mit seiner diskontinuierlichen Erzählung, dem pointierten Einsatz von Licht und Dunkelheit sowie der intensiven Präsenz der Darsteller errichtet der Film eine düster-schöne erinnerungspolitische Schattenwelt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
CAVALO DINHEIRO
Produktionsland
Portugal
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
OPTEC - Sociedade Óptica Técnica
Regie
Pedro Costa
Buch
Pedro Costa
Kamera
Leonardo Simões
Musik
Os Tubaroes
Schnitt
João Dias
Darsteller
Ventura (Ventura) · Vitalina Varela · Tito Furtado · António Santos
Länge
104 Minuten
Kinostart
08.10.2015
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Pedro Costas kunstvolle, düster-schöne Erkundung der Folgen der portugiesischen Kolonialherrschaft

Diskussion
Am Anfang steht eine gespensterhaft stille Montage aus alten Schwarz-weiß-Fotografien. Die Bilder zeigen Straßenszenen und schäbige Behausungen, Menschen stehen oder sitzen, viele davon schlafend, ihre Köpfe auf Tischplatten gesenkt. Der dänisch-amerikanische Fotograf Jacob August Riis, ein Pionier der sozialdokumentarischen Fotografie, hat sie Ende des 19. Jahrhunderts in den New Yorker East Side Slums aufgenommen. „Horse Money“ spielt in einem anderen geografischen und politischen Raum, auch in einem anderen Zeitrahmen, doch mit Riisʼ Fotografien verbindet ihn nicht nur die atmosphärische Temperatur, ein Zustand der Halbwachheit, der latenten Erschöpfung, sondern auch eine über das reine „Interesse“ hinausgehende Beschäftigung mit marginalisierten Existenzen, die bei dem portugiesischen Filmemacher Pedro Costa mithin eine Form der Teilhabe beinhaltet. Wie die meisten Filme von Costas ist auch „Horse Money“ in Fontainhas angesiedelt, einem mittlerweile abgerissenen Elendsviertel in Lissabon, das zum großen Teil von Migranten von den Kapverdischen Inseln bewohnt wurde. Die Protagonisten treten als sie selbst auf. Hauptfigur ist erneut der Immigrant Ventura. In einer in die Jahre gekommenen, verwinkelten Nervenheilanstalt, die mehr Erinnerungsraum als konkreter Ort ist und sich in andere, ebenso minimalistisch ausgestattete, abstrahierte Räume ausweitet – ein Kellergewölbe, ein verlassenes Fabrikgebäude und als eine Art Portal in weitere Wirklichkeitsschichten: ein Aufzug – fristet der alte Mann ein elendes Dasein. Die Statik der Einstellungen und die Langsamkeit der Erzählung bilden dabei einen spannungsvollen Kontrast zu Venturas beständigem Zittern und seiner Fiebrigkeit, die sich in Monologen und Gesprächen unter die gleichförmige Oberfläche seiner Rede mischt. Venturas Berichte, Rückschauen, Bekenntnisse und Fantasien – das eine lässt sich vom anderen nicht abgrenzen – verbinden verschiedene Zeiten und Realitätsebenen: Mal gibt der Mann vor, 19 Jahre alt zu sein, mal im Rentenalter, dann wieder springt er vom Jahr 1974, als er einen Landsmann mit dem Messer erstach, in die Gegenwart. Auch der gewaltsame Aufstand gegen António de Oliveira Salazar taucht als traumatisches Erinnerungsfragment auf. In den somnambulen Sprechakten vermischen sich außerdem unterschiedliche Sprecherpositionen und Textsorten: wenn etwa Vitalina Varela, die als zweite wichtige Figur in den Film tritt, flüsternd von ihrer tragischen Familiengeschichte berichtet, flechten sich Dokumente wie Geburts- und Sterbeurkunden oder der Brief einer Bestattungsfirma in ihre Erzählung. Der Film verzichtet gänzlich auf dramatische Momente, aber die Art und Weise, wie Costa mit Licht, Dunkelheit und der physischen Präsenz der Darsteller eine ebenso schöne wie düstere erinnerungspolitische Schattenwelt zeichnet, ist geradezu niederschmetternd. Costa, der mit der Digitaltechnik weniger aufzeichnet als vielmehr modelliert, dimmt die Figuren immer wieder aus dem tiefen Schwarz des Hintergrundes heraus und erzeugt damit einen unkonturierten überzeitlichen Raum. Die Geister der Vergangenheit werden zu Gegenwartsfiguren und umgekehrt. „Horse Money“ lässt sich damit als eine post-koloniale Erzählung begreifen, die das „Danach“ konsequent suspendiert. Einen Abschluss kann es darin nicht geben.
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