Niels Deboos hat die Nase voll. Als der Deutsch- und Ge-schichtslehrer auf einer Occupy- Demonstration mächtig eins aufs Auge bekommt, quittiert er seinen Dienst und seine Loyalität zur Bundesrepublik Deutschland. Bankenrettung, Staatsbankrott, Korruption: das alles kann ihm von nun an gestohlen bleiben. Denn vor den Toren der Hauptstadt, mitten im Brandenburgischen, gründet er einen eigenen Staat, ein besseres Deutschland. An seiner Seite zwei Dutzend Leute, die wie er keine Lust mehr haben auf Kapitalismus und Krise.
Der neue Staat heißt Freiland, und als dessen Flagge zum ersten Mal gehisst wird, intoniert eine Dorfblaskapelle den bayrischen Defiliermarsch. Wer mitmachen will, muss sich einer Fragestunde unterziehen; darunter auch die Erkundigung: »Waren oder sind Sie gegenwärtig an Spionage, Sabotage, terroristischen Aktivitäten oder Völkermord beteiligt?« Später bekommt jeder Freiländer seine spezielle Aufgabe: Innen-, Kultur-, Gesundheits- oder Sicherheitsminister. Einer wird sogar in die weite Welt geschickt, um Regierungen zu finden, die Freiland als Staat diplomatisch anerkennen. Bald gibt es Morgenappelle, einen Rundfunk mit erfundenen Horrornachrichten aus der alten Bundesrepublik, irgendwann eine Mauer mit Stacheldraht. Auf wöchentlichen Reproduktionsabenden mit jeweils wechselnden Paarungen soll Nachwuchs generiert werden. Und Deboos lässt sich auf einem Ölgemälde verewigen: »Menschen brauchen Vaterfiguren, einen persönlichen Jesus. Irgendjemand muss die Verantwortung übernehmen.« Doch dann wird die Nahrung knapp, der Diesel muss rationiert werden, es gibt Flüchtlinge über die Balkonbrüstung hinweg und die Forderung der übrig gebliebenen Freiländer nach freien Wahlen.
Wem das alles wie eine Parabel auf die untergegangene DDR erscheint, liegt durchaus richtig. In der Absicht, eine Satire auf anarchistische Rebellionen gegen das bestehende System und dessen Scheitern zu drehen, fiel Moritz Laube tatsächlich nichts Besseres ein, als noch einmal auf einen längst tot gerittenen Gaul aufzuspringen. Ein filmischer Salto rückwärts, der sich auf der verkürzten Reproduktion zeitgeschichtlicher Details ausruht und ansonsten weitgehend ideen- und pointenlos vor sich hin dümpelt. Im Grunde ist »Freiland« aber nicht nur ein gedanklich dürftiger, sondern auch ein reaktionärer Film. Er denunziert den für eine lebendige, sich jung erhaltende Gemeinschaft notwendigen Vorgang, über gesellschaftliche Utopien nachzusinnen, als Spinnerei von Einzelnen, die bei der praktischen Umsetzung ihrer unausgereiften Ideen zudem noch zu Tyrannen und Diktatoren mutieren. Zu Fragen nach der Veränderbarkeit der Welt hat »Freiland« nichts als ein paar kümmerliche Gags beizutragen. Eingreifende Satire, die wie ein Stachel ins Fleisch eines satten, selbstzufriedenen Gemeinwesens eindringt, sieht wahrlich anders aus.
Dramaturgisch ist der Film als Rückblende angelegt, mit dem Anti-Helden als Off-Kommentator. Eingeschnittene Erinnerungen anderer Beteiligter sind im Stil einschlägiger TV-Dokumentationen gestaltet und persiflieren ihn mit mäßigem Spaßfaktor. Die Figuren wirken allesamt wie Pappkameraden, aufs Klischee reduziert. Selbst existentielle Entscheidungen werden nicht psychologisch untermauert. Eine Gestalt wie der Buchautor Darré, der mit seiner Krisenanalyse »Goldene Zeiten« durch die Bundesrepublik tourt und bald zum theoretischen Kopf von Freiland wird, bleibt unangemessen blass. Mit Ausnahme von Aljoscha Stadelmann als Niels Deboos bekommt keiner der Mitwirkenden auch nur den Hauch einer Chance, seinem komödiantischen Affen wirklich Zucker zu geben. Und ob es noch komisch ist, wenn Deboos sein Kunstauge beim Küssen in den Mund nimmt und es wie ein Bonbon mit der Partnerin tauscht, muss stark bezweifelt werden. Was bleibt, ist eine rundum vertane Chance.