Finding Vivian Maier

Dokumentarfilm | USA 2013 | 84 Minuten

Regie: John Maloof

Vielstimmiger Dokumentarfilm über Vivian Maier (1926–2009), die 1951 von Frankreich nach New York zog, um dort als Kindermädchen zu arbeiten. Nebenbei ging die exzentrische junge Frau ihrer großen Leidenschaft nach und fotografierte unablässig Menschen auf der Straße. Nur von den wenigsten ihrer großartigen Aufnahmen ließ sie Abzüge machen; ein Großteil der Negative wurde unentwickelt im Nachlass gefunden. Erst posthum wurde so eine Künstlerin entdeckt, die über vier Jahrzehnte lang mit großer Meisterschaft den großstädtischen Alltag in New York und Chicago fotografisch festhielt. Mit großer Leidenschaft macht sich der formal konventionelle Film auf die Suche nach der Straßenfotografin, deren Widersprüchlichkeit ihrer Umwelt Rätsel aufgab, ohne dass ihr Talent je erkannt wurde. Ihre fesselnden Bilderwelten enthüllen sich dabei als Spiegel eines eigenwilligen, zunehmend von Beklemmung und ­Einsamkeit bestimmten Schicksals. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
FINDING VIVIAN MAIER
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Ravine Pictures
Regie
John Maloof · Charlie Siskel
Buch
John Maloof · Charlie Siskel
Kamera
John Maloof
Musik
J. Ralph
Schnitt
Aaron Wickenden
Länge
84 Minuten
Kinostart
26.06.2014
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
EuroVideo (16:9, 1.78:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion
Im Dokumentarfilm hat man es regelmäßig mit Schicksalen zu tun, an denen sich Script-Doktoren die Zähne ausbeißen würden, da sie die Unwahrscheinlichkeiten der Vorlage einfach nicht in den Griff bekämen. Etwa die Geschichte von Vivian Maier (1926–2009), die als Nanny in Chicago arbeitete und nebenbei mit der Rolleiflex-Kamera wie ein Profi fotografierte. Ihre Bilder, die man erst posthum entdeckte, sind die einer hochbegabten Straßenfotografin. Vergleiche mit Großen der Zunft, mit Diane Arbus, Robert Frank oder Lisette Model, sind nicht zu hoch gegriffen. Aber Charlie Siskel und John Maloof erzählen in „Finding Vivian Maier“ keine Aufsteigergeschichte. Denn erst nach ihrem Tod erfährt Maier die Aufmerksamkeit, die sie verdient. Wollte oder konnte die Fotografin nicht anders? Zu Lebzeiten ließ sie von ihren Aufnahmen nur wenige Vergrößerungen anfertigen; der Großteil ihrer Negative wurde nach ihrem Tod unentwickelt aufgefunden. Maloof, heute Nachlassverwalter der Fotografin, stieß im Jahr 2007 während einer Zwangsversteigerung auf Maiers Bilder. Er erahnte ihre Bedeutung, erzielte mit 200 auf einer Website präsentierten Bildern Klick-Rekorde, organisierte eine vielbeachtete Ausstellung und bat Experten um ihre Meinung. Der renommierte Fotograf Joel Meyerowitz attestiert Maier im Film einen „unverfälschten Blick“ und einen „tiefen Sinn für die menschliche Natur“. Was in dem Film an ausdrucksvollen Schwarzweißfotos zu sehen ist, lässt keinen Widerspruch aufkommen. Dass Vivian Maier zwar Negative belichtete, aber keine ausstellungswürdigen Prints in Auftrag gegeben hat, ist für den Galeristen Howard Greenberg kein Einwand gegen ihre Qualität; er nennt Spitzenfotografen wie Garry Winogrand (1928–1984), die endlose Meter unentwickelter, aber großartiger Bilder hinterlassen hätten. Der Film deutet an, dass hinter manchen Argumenten gegen eine Würdigung von Vivian Maiers auf höherer Ebene auch der Unwille von Museen steht, die Geschichte der Fotografie umzuschreiben oder zumindest um eine Protagonistin zu erweitern – und damit den Wert der eigenen Fotosammlung womöglich zu schmälern. Aber daran ist nicht zu rütteln: Maier hatte einfach den Blick für Kristallisationsmomente im Chaos der Ereignisse. Ihre hohe Ausbeute an guten Schüssen pro Film (es gab weder Digitalkameras noch eine Löschfunktion) verblüfft ebenso wie ihre skrupellose Art, Leuten auf den Leib zu rücken und im richtigen Augenblick auf den Auslöser zu drücken. Dabei ließ sie selbst kaum Nähe zu, wollte sich ungern in die Karten schauen lassen. Filmisch ist „Finding Vivian Maier“ kein Meisterwerk. Die Abfolge von Nacherzählung und Interviews, der Schnitt und die eher konventionelle Musikuntermalung erlauben sich keine Experimente. Zu etwas ganz Besonderem wird die Dokumentation dank der Vielstimmigkeit, die sich aus der großen Zahl der Menschen ergibt, mit denen Vivian Maier zu tun hatte, und auch aus der ans Pathologische grenzenden Widersprüchlichkeit ihrer Persönlichkeit. Siskel und Maloof machen es spannend, indem sie die Suche nach der mysteriösen Fotografin in die Erzählstruktur des Films integrieren. Neben Fotografen und Galeristen kommen Eltern und ehemalige Schutzbefohlene zu Wort – Zeitgenossen, die Maloof nur mit Mühe ausfindig machte. Die fesselnden Bildwelten der Freizeit-Soziografin und obsessiven Bildermacherin stehen einem von Beklemmungen und Einsamkeit überschatteten Alltag gegenüber. Keiner der Menschen, bei denen Maier als Nanny arbeitete, hatte eine Ahnung von den Dimensionen ihrer Leidenschaft und ihres Talents. Als hätte es unzählige Vivian Meiers gegeben, loben einige ihre liebevolle Natur, während andere von der Exzentrik oder gar den dunklen Seiten ihrer Kinderfrau berichten. Maier nahm Kinder mit auf Fotostreifzüge in gefährliche Gegenden von Chicago. Sie konnte wohl auch gewalttätig werden, etwa gegen Männer, die sie generell hasste. In späteren Jahren setzte sie offenbar auch den Kindern zu. Mehr und mehr wurde Maier von ihren Arbeitgebern und wenigen Freunden als Belastung empfunden. Sie hortete stapelweise Zeitungen, frönte einer Gier nach Informationen und Bildern, die sie kaum mehr zu kontrollieren schien. Maier starb verarmt und einsam in der Nähe von New York. Was wäre aus ihr geworden, wenn sie der Welt ihren Bilderschatz geöffnet hätte? Wie erfüllend ist ein künstlerisches Tun ohne Betrachter, ohne Resonanz? Der Film erzählt eine letztlich traurige Geschichte, kündet aber auch von erfüllten Augenblicken – die Vivian Maier, mit oder ohne Absicht, für die Nachwelt einzufrieren vermochte.
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