Der wundersame Katzenfisch

Drama | Mexiko/Frankreich 2013 | 95 Minuten

Regie: Claudia Sainte-Luce

Eine vereinsamte 22-jährige Mexikanerin lernt bei einem Krankenhausaufenthalt eine an AIDS erkrankte Mutter mit drei Töchtern und ihrem Sohn kennen. Flugs wird sie in die Familie aufgenommen, was ihre unerfüllte Sehnsucht nach Liebe und Fürsorge etwas stillt. Als die junge Frau die Aufgaben der Mutter übernimmt, gewinnt sie zudem das Vertrauen der zunächst misstrauischen Kinder. Ein optimistisches Filmdebüt, das sehr präzise und mit meisterhaften Bildkompositionen die Auswirkungen einer Krankheit auf einen Familienverband registriert. Erst ganz am Ende kippt der ernste und trotzdem leichtfüßige Ton etwas zu massiv ins Sentimentale. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
LOS INSÓLITOS PECES GATO
Produktionsland
Mexiko/Frankreich
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Cannibal Networks/Good Lap Prod./Jaqueca Films/FOPROCINE/IMCINE
Regie
Claudia Sainte-Luce
Buch
Claudia Sainte-Luce
Kamera
Agnès Godard
Musik
Madame Recamier
Schnitt
Santiago Ricci
Darsteller
Lisa Owen (Martha) · Ximena Ayala (Claudia) · Sonia Franco (Alejandra) · Wendy Guillén (Wendy) · Andrea Baeza (Mariana)
Länge
95 Minuten
Kinostart
10.07.2014
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Verleih DVD
Arsenal (16:9, 1.78:1, DD5.1 span./dt.)
DVD kaufen

Diskussion
Man hat sich im Kino daran gewöhnt, dass die mexikanische Jugend in einem wirtschaftlich instabilen und sozial heruntergekommenen Land wenig Zukunft hat. Die Filmemacherin Claudia Sainte-Luce hält sich in ihrem optimistischen Debüt jedoch nicht allzu lange mit der Misere auf, sondern hilft ihrer Heldin aus trüber Schwere heraus. Die 22-jährige Claudia ist ganz auf sich selbst gestellt. Ihren Vater kennt sie nicht, und ihre Mutter hat sie im zarten Alter von zwei Jahren im Stich gelassen. Gleich dem enervierend leckenden Wasserhahn, tropft die Zeit in Claudias Leben schwer dahin und verkündet zugleich ihr erbarmungsloses Verstreichen. Offenbar hat Claudia kaum eine Wahl. So muss es schon als kleine Freiheit betrachtet werden, wenn sie morgens die ungeliebten lilafarbenen Pops aus den Frühstücksflocken aussortieren kann. Es ist ein schmaler Grat, auf dem Claudia balanciert. Sie arbeitet in einem Supermarkt auf Provisionsbasis, aber das Geschäft geht schlecht; erfolglos dient sie den Kunden an einem Stand Würstchen an. Doch ihr Schicksal wendet sich zum Guten, als sie mit einer Blinddarmentzündung ins Krankenhaus kommt und dort die an AIDS erkrankte Martha mit ihren drei Töchtern und ihrem kleinem Sohn kennenlernt. Fortan nimmt der Film den kleinen sozialen Verband in den Blick und beobachtet sorgfältig, wie er sich gegenüber der einsamen jungen Frau verhält. Denn obwohl Claudia von der todkranken, aber sehr lebensbejahenden Martha ganz selbstverständlich im Kreis ihrer Familie willkommen geheißen wird, sieht sie sich bald mit dem Argwohn und Neid der Töchter konfrontiert. Immerhin ist sie eine weitere Konkurrentin um die Gunst der Mutter, die durch ihre Krankheit nicht mehr so viel Raum für die Sorgen ihrer Kinder hat. Die Inszenierung zeichnet ein eindrückliches Bild davon, wie Marthas Krankheit die Familie ständigem Stress aussetzt, wie sie ihr keine Ruhe und Sicherheit gönnt. Gleichwohl tritt bei den Kindern nach und nach auch Erleichterung ein, da sie das neue Familienmitglied entlastet und überdies in die Rolle einer fürsorglichen Mutter schlüpft. So kann sich Claudia dem Respekt und die Zuneigung der Kinder erwerben und dadurch auch die sonnigen Seiten eines Familienlebens genießen. Die von der Kamerafrau Agnès Godard komponierten Bilder sind sprechend, intensiv und präzise. Virtuos imitiert die bewegte Kamera, wie Claudia zunächst irritiert, befremdet, ja überwältigt auf einen Haushalt reagiert, in dem es offensichtlich drunter und drüber geht, in dem Lärm und Stille unter einem Dach hausen. Zumeist bewegt sich die Kamera dabei in den Innenräumen; die Weite verheißt alles andere als Selbstbestimmung; draußen lauert die Gefahr. Wenn die Familie mit Martha doch einmal an die See fährt, treiben sie Quallen, Insektenstiche und ein Sonnenbrand schnell wieder in den Schutz ihrer Behausung zurück. Die Kamera versteht es vorzüglich, die Stimmungen der Figuren einzufangen und die Dynamik in deren Beziehungen aufzunehmen. Ungeschönt zeigt sie Marthas Symptome, hält sich aber zugleich auch respektvoll zurück. Man kann die behutsame Darstellung vom Finden einer Familie und davon, wie sich Krankheit auf das Leben einer Familie auswirkt, durchaus als Sinnbild für die kränkelnden sozialen Verhältnisse in Mexiko lesen. Mit AIDS ist Martha von einer Krankheit befallen, die in dem katholischen Land als Zeichen des Sittenverfalls gilt, da sie angeblich auf einen promiskuitiven Lebensstil oder auf homosexuelle Beziehungen hinweise. Man duldet dies zwar, aber man spricht nicht darüber, und so reicht man die Krankheit ungeschützt weiter. Andererseits verkörpert Martha mit ihrer Lebensfreude, ihrer Wärme, Großzügigkeit und Leichtigkeit all jene Eigenschaften, die der Film als förderlich für die gesellschaftliche Gesundung herauskehrt. Denn es ist Martha, die eine stabile soziale Formation ermöglicht, mit ihrer Familie als Keimzelle einer solidarischen Gesellschaft. Zwar klammert diese Familie auch, und man muss sich buchstäblich den beengten Raum eines gelben VW-Käfers miteinander teilen, doch dafür kann man sich auch auf ihre Wohlfahrt und Zuwendung verlassen. Allerdings wird hier wieder einmal das Vermögen, Gemeinschaft und Beziehung zu stiften, an die Frauen delegiert. Schade ist, dass die Filmemacherin am Ende doch noch zu einer sentimentalen Deutlichkeit greift, wenn Martha im Voice-Over ihr Vermächtnis an die Kinder weitergibt. Da macht sie es den Männern dann doch allzu leicht, sich weiter aus der Verantwortung zu stehlen.
Kommentar verfassen

Kommentieren