Molières „Menschenfeind“ gilt vielen als sein bestes und persönlichstes Werk. Eine scharfsinnige Gesellschaftsanalyse mit bissigen, manchmal wunderschön geschriebenen Repliken, ein mutiger Aufruf gegen die verlogenen Umgangsformen der elitären Gesellschaft im Frankreich des 17. Jahrhunderts, ebenso anstößig wie einflussreich in Bezug auf die soziale und politische Wirkung. Die Weigerung der Titelfigur Alceste, sich diplomatisch-angepasst zu verhalten, wird durch seinen Freund Philinte konterkariert, der pragmatisch zur Mäßigung rät. Es zählt zu den bestechenden Ideen des Films von Philippe Le Guay, dieses Spannungsverhältnis in der Beziehung zweier Schauspieler zu spiegeln, die Molières „Menschenfeind“ auf die Bühne bringen wollen.
Zunächst lernt man Gauthier Valence (gespielt von Lambert Wilson) kennen, der als Fernseharzt in der schwülstigen Serie „Docteur Morange“ berühmt geworden ist. Doch eine unbestimmte Unzufriedenheit nagt an ihm: Viel lieber würde er in anspruchsvollen Rollen Theater spielen, am besten den „Menschenfeind“. Doch kein Alceste ohne Philinte, und so macht sich Gauthier auf zur Île de Ré, wo sein alter Freund und Kollege Serge Tanneur (Fabrice Luchini) zurückgezogen in einem heruntergekommenen, arg renovierungsbedürftigen Haus lebt. Serge hat allerdings – ein Nervenzusammenbruch ist schuld daran – der Schauspielerei abgeschworen, ein für alle mal. Worum es denn ginge? Ah – Molière und „Der Menschenfeind“! Alceste hätte er immer schon gern spielen wollen. Darum erklärt er sich – wenn es sein muss, auch mit abwechselnden Rollen – zunächst zu gemeinsamen Sprechproben bereit, nach einer Woche entscheide er dann über seine Mitwirkung.
Die folgenden Lesungen machen die eigentliche Stärke des Films aus, zumal Fabrice Luchini, in Frankreich durch seine mitreißenden Lesungen von Baudelaire, Hugo und Céline bekannt, nicht nur der Schönheit von Molières Versen perfekt nachspürt, sondern auch unterschiedliche Interpretationsangebote ausprobiert. Struktur, Handlung und Dialog des „Menschenfeindes“ reflektieren die Machtspiele, die Serge, durch die Einsamkeit und Untätigkeit selbst zum Misanthropen geworden, seinem alten, entfremdeten Freund auferlegt. Mit einem Mal brechen lange verdrängte Konflikte auf; es entbrennt ein Konkurrenzkampf um die Rolle des Alceste. Bis sich mehr und mehr herauskristallisiert, dass ihre Beziehung mit der des Stücks überlappt – was wiederum den Proben zugute kommt. Doch eine schöne Italienerin bringt die mühsam austarierte Arbeitsbeziehung durcheinander – mit katastrophalen Folgen.
So geglückt diese Querverstrebungen zu Molière auch sind, wollte sich Le Guay darauf allein nicht verlassen. Mehr als eine Szene gleitet in Slapstick ab, wenn jeweils einer der beiden Freunde bei Ausflügen beispielsweise mit dem Fahrrad im Fluss landet oder Serge sich aus unerfindlichen Gründen einer Vasektomie unterziehen will (um dann entsetzt die Flucht vom Operationstisch zu ergreifen). Nicht zu vergessen eine junge Nachbarin, eine Porno-Actrice, die gerne eine richtige Schauspielerin wäre und Nachhilfeunterricht braucht. Ablenkungen, die gar nicht nötig sind. Denn die persönlichen und künstlerischen Differenzen zwischen den Freunden sind Attraktion genug. Und dass Molière klassischer Text in ungewöhnlicher, aufregend aufgenommener Umgebung, nämlich der freien Natur einer rauen, wettergeplagten Insel, modern aufbereitet wurde, würde ebenfalls vollauf genügen.