Es beginnt mit einer falschen Fährte. In der ersten Einstellung erwacht ein Stein am Ufer des Meeres zum Leben, reckt und streckt sich und enthüllt im Zwielicht des anbrechenden Tages, dass er im Besitz von etwas ist, was später im Film, wenn Neugier in Liebe umschlägt, zum Gegenstand einiger Diskussionen wird. Stichwort: Fleisch oder Blut.
Nach diesem archaischen, fast schon mythologischen Auftakt ändert sich der Tonfall abrupt. Regisseur Jakob Lass scheint sich an ein Erfolgsrezept des Neuen deutschen Films erinnert zu haben: die harsche Durchdringung des Fiktiven und des Dokumentarischen, wie man es von Alexander Kluge, Werner Herzog oder auch Klaus Lemke kennt. Der Regisseur lässt seine Protagonisten innerhalb eines realen Settings mit engagierten Laiendarstellern improvisierend agieren, was dem Film schöne Funken verleiht. Auf ein ausgearbeitetes Drehbuch wurde verzichtet, es gab lediglich ein dramaturgisches Gerüst und die Charaktere, aber keinen einzigen vorformulierten Dialogsatz, um mit und vor der Kamera flexibel zu bleiben. Für diese Optimierung der Arbeitsprozesse haben Lass und sein Team auch gleich einen Namen gefunden. „Love Steaks“ ist der allererste „Fogma“-Film. „Fogma“ sieht sich durchaus auch als Alternative zur formalen Sprödigkeit der „Berliner Schule“-Filme und will die kreative Dynamik von Drehbuchfilm, Improvfilm und Dokumentarfilm bündeln. „Fogma“ soll Halt bieten und befreien.
Der junge, sanfte und mitunter etwas unbedarft wirkende Physiotherapeut Clemens tritt in einem gehobenen Wellness-Hotel seine erste Stelle an. Clemens muss sich in der neuen Umgebung erst noch orientieren, er kennt die Usancen des Betriebes nicht. Es passt zu Clemens, dass er beim Feudeln des Spa-Bereichs wiederholt hinschlägt oder dass er nicht so recht weiß, wie er auf die plumpe Anmache einer älteren Kundin angemessen reagieren soll. Man schaut Clemens aber gerne dabei zu, wie er mühsam versucht, seinen Alltag geregelt zu bekommen.
Gleiches gilt für die junge Lara, die in der Küche des Hotelkomplexes arbeitet. Sie gibt sich tough und burschikos, um den rauen Umgangsformen in der Küche gewachsen zu sein. Sie trägt auch gerne mal eine Maske. Lara scheint dauernd unter Strom zu stehen. Was zu Beginn noch sehr keck erscheint, erweist sich im weiteren Verlauf als drogeninduziert. Der stille, unauffällige Clemens, der nicht nur aufgrund seiner Hasenscharte kein Sprücheklopfer ist, fällt Lara schnell auf. Sie beginnt mit Clemens auf kindlich-regressive Weise zu spielen, unterschätzt aber dessen naive Ernsthaftigkeit, die Pädagogik hinter der Weichheit.
Das Spiel verliert seine Unschuld, als die Machtverhältnisse innerhalb der Beziehung zu bröckeln beginnen. Clemens übernimmt die Initiative und macht sich daran, Lara zu retten. Was zunächst noch eine Wette ist, die Lara souverän manipulieren zu können glaubt, wandelt sich in eine ernste Angelegenheit, als Clemens die Kollegen in die Pflicht zu nehmen beginnt und entschieden eine störende Öffentlichkeit herstellt.
Vor dem Hintergrund der pointiert ausgestellten Reglementierungen und Rituale der Dienstleistungen, die in einer „sprechenden“ Parallelmontage von Massage- und Küchenbereich gipfeln, wirken die regressiven Spielchen wie ein übermütiger Protest. Was die Inszenierung durch die genüssliche Fokussierung auf improvisierte Interaktionen mit dem leitenden Personal noch unterstreicht, das abweichendes Verhalten recht selbstgefällig abstraft. So lädt der Film den Zuschauer zuvorkommend ein, sich zum Kumpel der rebellischen Kinder zu machen. Vergnügt schaut man den doppelbödigen Spielen zu, die allmählich in einen sexualisierten Machtkampf übergehen, für den der Film allerdings nur eine filmische Lösung anzubieten hat, deren stilisierte Drastik so gar nicht zum Ton des übrigen passt.
„Love Steaks“ erzählt auf diese Weise ausgesprochen originell und sogar mit komödiantischem Impetus, der auch Momente von Slapstick umfasst, vom Aufstand gegen Klassen- und Gender-Verhältnisse, die Menschen krank machen. Doch dieser Aufstand findet im Kinderzimmer statt, weshalb auch der Film letztlich wenig mehr als das gute Gefühl anzubieten hat, Zeuge zu sein, wie ein Schamane eine Punkerin heilt, indem man am menschenleeren Strand mal so richtig die Sau rauslässt. In modischer Splatter-Zeitlupe.
Das Interessanteste am vielfach prämierten „Love Steaks“, neben dem grandiosen Spiel der beiden Hauptdarsteller Lana Cooper und Franz Rogowski, ist jedoch die Tatsache, dass der Film mit dem Umstand, improvisierend und ohne Drehbuch entstanden zu sein, hausieren geht, während man beim Sehen nicht das Rascheln eines Drehbuchs, sondern das kultureller Stereotypen hört. Insofern dürfte die etwas muffige Ideologie und nur leicht kaschierte Biederkeit des Ganzen trotz aller formalen Experimente so fest in den Köpfen der Macher verankert gewesen sein, dass sie sich quasi spontan in den Film eingeschrieben hat. Fraglich, ob man Gender-Trouble dadurch beikommt, dass der Mann die Frau zu retten versucht wie einst Travis Bickle in „Taxi Driver“.