Drei argentinische Musiker reisen durch Finnland, um der unter anderen von Aki Kaurismäki verbreiteten These auf den Grund zu gehen, dass der Tango nicht in Südamerika, sondern im Norden Europas entstanden sei. Ein betörendes tönendes Road Movie zwischen Dokumentation und Spielfilm voller prickelnder Begegnungen, skurriler Typen und zauberhafter Naturbilder, die von einer völkerverbindenden, leidenschaftlichen Musik zusammen gehalten werden.
- Ab 14.
Mittsommernachtstango
Dokumentarfilm | Deutschland/Argentinien/Finnland 2012 | 82 Minuten
Regie: Viviane Blumenschein
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland/Argentinien/Finnland
- Produktionsjahr
- 2012
- Produktionsfirma
- Gebrueder Beetz Filmprod./Gema Films/Illume
- Regie
- Viviane Blumenschein
- Buch
- Viviane Blumenschein
- Kamera
- Björn Knechtel
- Musik
- Diego Kvitko
- Schnitt
- Oliver Weiß
- Länge
- 82 Minuten
- Kinostart
- 13.03.2014
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
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Heimkino
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Irgendwo in Finnland. Es ist 22 Uhr und taghell. Drei argentinische Tango-Musiker sitzen draußen vor einer Blockhaussauna. Während das Trio langsam abkühlt, wundert sich einer von ihnen darüber, wie schwer sich in einer Sauna durch die Nase atmen lässt. So könnte ein Witz, der mit Nationalklischees spielt, anfangen. Doch die kurze Szene aus Viviane Blumenscheins „Mittsommernachtstango“ hat sich tatsächlich ereignet.
Wie aber haben sich drei Argentinier in die finnische Einöde verirrt? Schuld ist die Tatsache, dass Klischees sich natürlich nicht mit der Wirklichkeit decken; schuld ist auch die Liebe der Finnen zum Tango – und nicht nur zum Saunieren, Grübeln und Aquavit trinken. Und überdies hat auch die Behauptung prominenter Finnen, der Tango sei in ihrem Land entstanden, die Reise der Musiker Chino Laborde, Diego Kvitko und Pablo Greco provoziert.
Ein skandinavischer Taxifahrer konfrontierte die Argentinier schon in Buenos Aires, der Wiege des Tango, mit der skandalösen These. Welcher Argentinier könnte das schon auf sich sitzen lassen? Chino, Diego und Pablo verlassen ihr hassgeliebtes Buenos Aires (Diego: „Eine dreckige Stadt mit schöner Musik“) für eine Finnland-Tournee. Sie wollen den Nordlichtern nicht nur demonstrieren, was ein richtiger Tango ist, sondern auch Land und Leute kennenlernen. Vor allem Leute wie Aki Kaurismäki, der finnische Tangos als Filmmusiken favorisiert. Zu Beginn des Films behauptet er, dass Hirten bereits Mitte des 19. Jahrhunderts an der finnischen Ostküste Tango-Lieder gesungen hätten, um die Wölfe fernzuhalten. Nachdem der Tango an die Westküste gelangt war, brachten Seeleute ihn über Uruguay nach Argentinien. Klar, dass ein Musiker aus Buenos Aires da erst mal tief Luft holen muss.
Nach „Dance for All“ (2007) über ein südafrikanisches Sozialprojekt, das Jugendlichen aus den Townships um Kapstadt eine klassische Tanzausbildung ermöglicht, und „Going Against Fate“ (2008) über Orchesterproben für die 6. Symphonie von Gustav Mahler hat Viviane Blumenschein eine dritte Dokumentation zum Thema Musik gedreht. Es geht darin wohlgemerkt zuerst um Musik und weniger um tänzerische Aspekte. Wobei man durchaus auch erfährt, dass die Finnen der hochraffinierten argentinischen Variante einen rhythmisch schlichteren „Gehtango“ entgegensetzen.
Das Charakteristische an „Mittsommernachtstango“ sind die fließenden Übergänge zwischen „straighter“ Dokumentation und Spielfilmdramaturgie. Die Frage nach dem Wahrheitsgehalt von Kaurismäkis These ist deshalb letztlich zu vernachlässigen, weil die Geschichte von den Hirten und Wölfen zumindest gut erfunden ist und den Anstoß zu einem Road Movie der besonderen Art gegeben hat. Ebenso bleibt in der Schwebe, wann die in einem roten Leihauto durch finnische Wald- und Seenlandschaften kurvenden Südamerikaner zu Akteuren ihrer selbst werden und wann ihre Erregung oder ihr Staunen auf echten Reaktionen beruht.
Blumenschein arbeitet die Unterschiedlichkeit der drei Charaktere sehr prägnant heraus. Walter „Chino“ Laborde ist der Sänger der Band, die sich kurioserweise „Duo“ nennt. Für Chino ist der Tango eine Schule des Lebens. Bei der finnischen Sängerin Sanna Pietäinen lernt der Autodidakt mit der verschatteten Stimme Neues über Gesangstechnik und den ersten finnischen Tango kennen. Sein jüngerer Kollege Diego Kvitko spielt Gitarre, ist der Temperamentvollste im Trio und derjenige, der sich am meisten über die vermeintliche Anspruchshaltung der finnischen Tango-Konkurrenz aufregen kann. Pablo Greco, der Älteste, spielt Bandoneon und ist es gewohnt, die Wogen zu glätten. Kurz nach der Anreise votiert er schon dafür, sich mit dem Tango à la Suomi auseinanderzusetzen. Pablo kommt die ruhige, besonnene Art der Finnen entgegen, und findet schließlich auch die erlösende Kompromissformel: Der Tango mag in Finnland erfunden worden sein, doch unstrittig bleibt, dass sich die Musik erst in Argentinien zur vollen Blüte entfaltet hat.
Man arrangiert sich also, wobei die spröde Herzlichkeit der Finnen überaus hilfreich ist. Ein Kenner des finnischen Tangos erläutert dabei die versteckte „Sexyness“ der nordischen Variante, wobei er im Hasenkostüm vor Kindern auftritt, gemeinsam mit einem als Katze verkleideten Kollegen, da die Tango-Tradition in Finnland ein wenig eingeschlafen ist. Am Ende ihrer Spurensuche treffen Chino, Diego und Pablo auf den finnischen Tango-Superstar der 1960er-Jahre, Reijo Taipale. Ein bewegendes Treffen in einem von prickelnden Begegnungen, skurrilen Typen, zauberhaften Naturbildern und völkerverbindender, leidenschaftlicher Musik gesättigten Film.
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