Mary Stuart, geboren 1542, 1587 auf dem Schafott hingerichtet. Unzählige Historiker, Künstler, Schriftsteller, Musiker – Tommaso Campanella, Friedrich Schiller, Stefan Zweig, Gaetano Donizetti, Robert Schumann – haben sich mit dem Schicksal der Königin von Schottland auseinandergesetzt, mancher Filmemacher ihr zum Auftritt auf der Leinwand verholfen. In „Mary – Königin von Schottland“ von Thomas Imbach verkörpert Camille Rutherford die Herrscherin, die familiär bedingt Französisch so perfekt wie Englisch spricht. Es empfiehlt sich sehr, den Film in der Originalfassung anzuschauen, da ihn Imbach in die Zweisprachigkeit der Protagonistin hineinkonzipiert hat: mit dem verspielten Französisch, das weitgehend die Sprache von Marys Kindheit, ihrer Jugend, ihrer ersten Ehe ist, und dem kräftigeren, formelleren Englisch, ihre eigentliche Muttersprache und auch die Sprache ihrer Regentschaft und Auseinandersetzungen mit Elizabeth I.
Der Film beginnt und endet in der Nacht vor Maria Stuarts Hinrichtung. In Rückblenden bettet sich die Erzählung über ihr Leben, ihre Lieben und Leidenschaften so in ihre letzten Gedanken vor dem Tod.
Ein Kostümdrama aus Schweizer Händen, was eine Seltenheit ist: gemeinhin sind helvetische Filmbudgets zu niedrig, als dass man sich im Bereich des schwelgerisch-teuren Historien- und Kostüm-Genre hervortun könnte. „Mary – Königin von Schottland“ ist denn auch auffallend bescheiden, um nicht zu sagen: karg. Zwar sind die Kostüme historisch akkurat, bunt und aus edlen Stoffen. Auch wurde in ehrwürdig-alten (Schweizer) Gemäuern gedreht, es gibt viele Pferde und Reiterszenen. Doch offizielle oder gar pompöse Auftritte, Feste oder üppige Bankette sind selten. Es gibt keine actionreichen, kriegerischen Auseinandersetzungen. Fließt Blut – und es fließt reichlich, denn es sind unruhige Zeiten –, dann diskret, aus einer Bauchwunde in Stoff hinein oder auf offenem Feld unverhofft an Marys Beine herunter, als sie ihr Kind verliert. „Mary Stuart privat“ stellt Imbach hier vor: Sein Film ist ein Innenbild persönlichen Erlebens, das auf ihre Befindlichkeit fokussiert, auf ihre Gefühle, Hoffnungen, Träume, auch auf Zweifel, Enttäuschungen, das Leiden in Gefangenschaft; symbolisch gespiegelt werden solche Seelenbilder in wild-herb-schönen, handkamera-bewegten Landschaftsaufnahmen aus Schottland.
Fünf Jahre alt ist Mary, als sie, durch Geburt nicht nur Königin von Schottland, sondern auch Anwärterin auf den englischen Thron, zu ihrem Schutz nach Frankreich geschickt wird. Hier wächst sie im Geleit von vier Gespielinnen auf, die – historisch verbrieft – alle wie sie selbst Mary heißen. Imbach lässt die vier Marias früh auftreten: ein „Frauenchörchen“, um Privatsphäre zu schaffen und Mary nicht nur als besonnene Monarchin zu zeigen, die sich um das Reich und politische Angelegenheiten kümmert, sondern auch als lebenslustige Frau, die zwischendurch bei Gesang, Spiel, Trank und Frauengesprächen verweilt. Mary ehelicht drei Männer. Den ersten, Dauphin François II, der sie vorübergehend zur Königin von Frankreich macht, trägt sie 17-jährig zu Grabe. Mit dem zweiten, dem Engländer Lord Darnley, zeugt sie einen Sohn, bevor sie merkt, dass sein Hass auf Protestanten ihren politischen Anliegen nicht dient. Ihre große Liebe schließlich wird der Mann, der all die Jahre davor ihr Beschützer und an Darnleys Tod nicht unschuldig ist: Earl Bothwell. Doch die Welt, namentlich Queen Elizabeth I, erträgt Mary an Bothwells Seite nicht. Und hier, in der Auseinandersetzung mit der entfernten Cousine, die sie persönlich nie trifft, gleichwohl aber als Seelenverwandte begreift, entflammt sich Imbachs Film. Er verpackt Marys Auseinandersetzung mit Elizabeth in fiktive, aus dem Off vorgetragene Briefe, sowie in kurze Interventionen des Puppenspielers Rizzio, der zwei Marionetten den Zickenkrieg der Königinnen austragen lässt. Dieses Puppenspiel ist ein neckischer Trick, der nach Rizzios Ermordung in Marys Fantasie weiterspielt.
Thomas Imbach ist mit „Mary – Königin von Schottland“ ein vielschichtiger und komplexer, bildstarker, poetischer und verblüffend leichtfüßiger Film geglückt.