So viel Liebe erfahren Haare wohl nur, wenn nicht mehr genügend vorhanden sind. Sorgfältig legt Irving Rosenfeld seine kahle Schädeldecke frei, klatscht unter den Klängen des Songs „A Horse with No Name“ von der Rockband America ein Toupet drauf und kämmt die lang gezüchtete Seitenpartie über die haarige Vorspiegelung falscher Tatsachen. Ein paar Minuten später aber wühlt ein Mann mit Minipli-Löckchen gehässig durch Irvings Haarturm und legt damit jenes Vogelnest frei, das Irvings größte Schwachstelle ist – neben seiner Wampe. Es sind Ton-Bild-Collagen für die bösartigen Kino-Götter, mit denen „American Hustle“ seine „Obermauschler“ einführt.
Doch zunächst springt der Film zurück nach vorn: Im Off erzählt Irving von seinem lukrativen Dasein als kleiner Kredit- und Kunstbetrüger. Als er 1978 bei einer Poolparty die schöne Sydney kennenlernt, ein Duke Ellington-Fan wie er, hat er die ideale Partnerin gefunden, um seinen „Kunden“ noch mehr Geld abzuluchsen. Ein sich liebendes Gauner(traum)pärchen, wären da nicht Irvings ungeliebte Ehefrau und der übereifrige FBI-Agent Richie DiMaso. Der erwischt und bedroht Irving & Sydney mit Gefängnis, falls sie ihm nicht dabei helfen, die wirklich dicken Fische an Land zu ziehen: korrupte Politiker mit besonders weißen Westen wie beispielsweise den Bürgermeister von Camden, New Jersey. Richie verspricht sich davon Prestige und eine Beförderung, Irving ein vermeintlich leichtes Spiel, da es Sydney nicht schwer fallen sollte, den FBI-Mann um den Finger zu wickeln.
Was folgt, ist der atemlose Abriss der realen „Abscam“-Operation des FBI, in dem viele Geldkoffer vor versteckter Kamera ihre Besitzer wechseln, während alle Beteiligten fleißig an einem Labyrinth aus Vorspiegelungen, Loyalitäten und Animositäten basteln. Bald traut hier keiner keinem mehr, vor allem, als die Mafia beim angeblichen Wiederaufbau von Atlantic City mit ihren Casinos mitmischen will, co-finanziert von einem Scheich, der so echt ist wie Irvings Haarpracht. Dass am Ende ausgerechnet die Unmoralischen als erste die Moral wiederentdecken, spiegelt das emotionale Zentrum eines Films, der nicht nur Sinn für Satire, sondern auch ein großes Herz für die Schwächen seiner Figuren besitzt, für ihre Eitelkeit und Habgier, aber auch für ihre unerfüllten Sehnsüchte.
Wovon „American Hustle“ nämlich primär lebt, ist weniger die glanzvolle Wiederauferstehung der späten 1970er-Jahre in Frisuren, Möbeln, Satin und großartigen Songs. Es ist vielmehr die Stammcrew von Regisseur David O. Russell, der die Schauspieler nicht köstlicher gegen den Strich hätte besetzen können. Ihre darstellerische Überzeichnung lässt vom Wunsch nach Selbstoptimierung, nach Glück und Liebe erzählen, was ja auch schon Steven Soderberghs liebevoll in der Imperfektion schwelgendem „Liberace“
(fd 41 920) glückte. Bei David O. Russell mit von der Partie sind Christian Bale, dessen Irving bald mehr zu verstecken hat als seine Identität und seine Glatze; Bradley Cooper als FBI-Agent Richie und Amy Adams als die Frau zwischen Irving und Richie, Herzensdame und Trumpf zugleich, mit gewagten Kleiderausschnitten bis zum Bauchnabel. Jennifer Lawrence irrlichtert als Ehefrau Rosalyn durch den Film, durchgeknallt, depressiv und manipulativ, ein „Picasso in passiv-aggressivem Karate“, wie Irving einmal anmerkt.
Regisseur David O. Russell, ein Meister aktiver Erzählkunst, entwickelt in den köstlichsten Momenten des Films eine mitreißende Dynamik, durch die der Reigen von Gaunern, Agenten, Politikern und Mobstern fast aus dem Bild zu fallen droht, so als hätte Martin Scorsese bei einer seiner berühmten Plansequenzen einen sehr humorvollen Trip eingeworfen. „American Hustle“ ist schräg und galgenhumorig wie „Three Kings“
(fd 34 098), dann wieder perfekt getimt und emotional wie ein Boxkampf in „The Fighter“
(fd 40 385) oder die Tanzszene aus „Silver Linings“
(fd 41 481), in der sich Jennifer Lawrence und Bradley Cooper nach einer delikaten Hebefigur in die Arme fallen. In „American Hustle“ schmettert Lawrence in gelben Gummihandschuhen triumphierend den Paul McCartney-Song mit den beiden existenziellen Imperativen, während Irving im Mafia-Auto um sein Leben fürchtet – die perfekt geschnittene Verschmelzung von Plot, Musik und Neurose: „Live and Let Die!“