Wir wissen nicht, was Pat Solitano für ein Typ war, bevor „es“ passierte. Jetzt ist Pat jedenfalls wieder aus der Psychiatrie entlassen, wo eine bipolare Störung diagnostiziert wurde, und erst mal bei seinen Eltern eingezogen. Offenbar hat ihm der Klinikaufenthalt gut getan, denn mehrere alte Freunde registrieren erfreut, dass Pat wieder „in shape“ ist. In shape, but out of order! Denn er leidet immer noch unter extremen Gefühlsschwankungen; so kann er sich wütend darüber ereifern, wie Hemingway die Liebesgeschichte von „In einem anderen Land“ an die Wand gefahren hat – ohne Rücksicht auf die Erwartungen des Lesers. „Silver Linings Playbook“ ist da insgesamt doch etwas kompromissbereiter.
Zunächst versucht Pat das umzusetzen, was er in der Klinik gelernt hat: Alles, was geschieht, hat irgendeinen Sinn, und man tut gut daran, das Gute darin zu sehen: Every cloud has a silver lining. Pat jedenfalls verfolgt einen optimistischen Plan: Jetzt, wo er wieder draußen ist und sich gesund fühlt, will er sein altes Leben zurück. Dumm ist nur, dass er sich seiner großen Liebe Nikki nicht mehr nähern darf. Dumm auch, dass er Haus und Job verloren hat und er jetzt immer diese Medikamente schlucken soll. Später erfährt man, warum Pat in der Psychiatrie war: Er wurde gewalttätig, als er Nikki mit einem Kollegen unter der Dusche beim Sex ertappte. Wobei „gewalttätig“ hier nicht meint, dass er das Wasser abstellte. Pat trainiert also für eine Wiederbegegnung mit Nikki und gestaltet seinen Alltag bei seinen Eltern sehr zurückhaltend, deren eigene Beziehung auch zu wünschen übrig lässt, um es einmal freundlich auszudrücken. Eines Tages trifft Pat auf Tiffany, eine junge Witwe, die den Verlust ihres Mannes auf eigentümliche Weise betrauert. Weil sie binnen kürzester Zeit Sex mit knapp einem Dutzend Arbeitskollegen hatte, verlor sie ihren Job. Tiffany interessiert sich für Pat, weil sie ihn zu verstehen glaubt; doch Pat ist die Frau zu verrückt.
Eine Liebesgeschichte zwischen zwei Menschen mit erheblichen psychischen Problemen, gestaltet in der Manier einer klassischen Screwball Comedy, aber vor dem mit realistischem Anspruch gezeichneten Milieu des US-amerikanischen Kleinbürgertums? War es das, was David O. Russell an der Verfilmung eines Romans von Matthew Quick interessierte? „Silver Linings Playbook“ ist jedenfalls mehr als eine unkonventionelle Liebesgeschichte. Der Film weitet beständig den Blick, bis ein umfängliches Familienpanorama etabliert ist. Dass er bei seinen Umwegen mitunter Tempo und Fokus zu vertändeln scheint, ist zu verschmerzen, weil die Figuren so interessant gewählt sind. Hier gibt es allerlei Spiegelungen und Verdoppelungen zu bestaunen. Nehmen wir Pats Vater, gespielt von Robert De Niro, der nicht grundlos ebenfalls Pat heißt. Pat Senior hat sein Leben in den Dienst des Sports gestellt: Er ist ein glühender Fan der Philadelphia Eagles, allerdings ein Fan mit Stadionverbot, der ersatzweise vor dem heimischen Fernseher aberwitzige Sportwetten abwickelt. De Niro stattet seine Figur mit verstörenden Spleens und Macken aus, die man gar nicht näher kennen lernen möchte. Pat Senior gerät schon in Rage, wenn die unterschiedlichen Fernbedienungen nicht in der richtigen Ordnung am richtigen Platz liegen.
Man muss „Silver Linings Playbook“ in der Tat von der Vaterfigur her interpretieren, um dieser verqueren Familienaufstellung auf die Schliche zu kommen. Die charakterliche Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn Solitano ist mit Händen zu greifen und vermittelt sich in den beiden Frauenfiguren von Pats Mutter Dolores (= Schmerzen), die mit Vater und Sohn lebt, und Tiffany, die sich für den Sohn interessiert, weil sie sich in ihm erkennt. Um an Pat heranzukommen, nimmt Tiffany so einiges in Kauf, wird grob behandelt und beleidigt, weil es Pat noch immer zu Nikki drängt. Schließlich – und hier kommt der Realismus des Films wieder ins Spiel, diesmal ironisch gewendet – unterbreitet sie Pat ein Angebot: Sie würde ihm den Kontakt zu Nikki ermöglichen, wenn er sie zum Ausgleich zu einen Tanzwettbewerb begleite. Das Tanzen als Paar- oder Gruppentanz fungiert in Zeiten der Casting-Shows als sozialintegrative Disziplinierung schlechthin, was auch Pat zugibt, wenn er bemerkt, wie gut ihm das Training tue. Doch dann kommen Pat Senior und seine Eagles der Therapie in die Quere, und irgendwann erzählt „Silver Linings Playbook“ so viele Geschichten von Familie, Neubeginn, alten Geschichten, Liebe, Tanz und Sportwetten gleichzeitig, dass es eine kokette Kumpanei mit den Genre-Spielregeln braucht, um die Vielzahl an Fäden wider alle Milieutreue zu ordnen. Die radikale Unbekümmertheit, mit der Russell und sein erstklassiges Darsteller-Ensemble diese „unglaubliche“ Rettungsstation ansteuern, beweist auf altmodische Weise Mut zum Kino und sollte bei der „Oscar“-Verleihung noch in bester Erinnerung sein.