Eine junge Frau wechselt ihre Sexualpartner noch häufiger als ihr Vater seine Lebensgefährtinnen. Kontinuität (und Abhängigkeit) stiftet allein die symbiotische Vater-Tochter-Beziehung, die von beiden hermetisch abgeriegelt wird, bis der Vater doch eine verbindliche Beziehung eingeht. Debütfilm über eine aufgewühlte, sexuell transgressive junge Frau, die an den Grenzen zur Außenwelt, aber auch zu anderen menschlichen Beziehungen strauchelt. Erzählt in lose zusammenhängenden, mit Zwischentiteln überschriebenen Episoden, kommt er ohne Psychologisierungen und dramaturgische Geschlossenheit aus, wobei alles offen bleibt und nichts zu Ende erzählt wird.
Hemel
Drama | Niederlande/Spanien 2012 | 84 Minuten
Regie: Sacha Polak
1 Kommentar
Filmdaten
- Originaltitel
- HEMEL
- Produktionsland
- Niederlande/Spanien
- Produktionsjahr
- 2012
- Produktionsfirma
- Circe Films/VPRO/Jaleo Films
- Regie
- Sacha Polak
- Buch
- Helena van der Meulen
- Kamera
- Daniël Bouquet
- Musik
- Rutger Reinders
- Schnitt
- Axel Skovdal Roelofs
- Darsteller
- Hannah Hoekstra (Hemel) · Hans Dagelet (Gijs) · Rifka Lodeizen (Sophie) · Eva Duijvestein (Emma) · Barbara Sarafian (Brechtje)
- Länge
- 84 Minuten
- Kinostart
- 14.11.2013
- Fsk
- ab 16; f
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Diskussion
Die nackten Körper von Hemel und ihrem Eintags-Liebhaber sind blass, knochig und in kränklich aussehendes, leicht blaustichig fahles Licht getaucht. Die erste, sehr ausgedehnte Bettszene – sie beschreibt die undefinierte, hier auch etwas unentschlossene Phase zwischen zwei Sexualakten – ist von gegensätzlichen Stimmungen und Triebkräften bestimmt: Abstoßung mischt sich mit Anziehung, Vitalität und Lust mit Schlaffheit und Anflügen von Langeweile und Tristesse.
Es gibt eine ganze Reihe von Sexszenen in „Hemel“ (mit jeweils neuem Partner), und jede hat ihr ganz spezifisches Licht, ihre eigene Dynamik, ihren eigenen Rhythmus – konstant bleibt nur eine gewisse Ambivalenz.
Hemel, deren Name „Himmel“ bedeutet, was der Film vielleicht etwas zu oft kommentiert und auf seinen Symbolgehalt untersucht, ist eine junge, promiskuitive Frau mit geradezu tourette-haftem Hang zu sexuell expliziter Sprache. Überhaupt ist Hemel recht überspannt, auch was Geschlechternormen betrifft: einem algerischen One-Night-Stand erklärt sie, Männer sollten nach dem Sex sofort einschlafen, wie Löwen. Hemel pinkelt außerdem im Stehen.
Glücklicherweise verzichtet die Regisseurin Sacha Polak in ihrem Debütfilm auf jene Pathologisierungen, die jüngere Beschreibungen der vermeintlich zunehmenden „Krankheit“ Sexsucht häufiger begleiten (etwa „Shame“, fd 40 933). In Hemels sexuellen Beziehungen gibt es neben dem destruktiven Anteil durchaus Zärtlichkeit, Verspieltheit und eine von krankhaftem Zwang befreite Lust. So ist es auch weniger die serielle Beziehungslosigkeit, die ihr nicht gut tut, als vielmehr die Fixierung auf die – unmittelbar damit zusammenhängende – Extrembeziehung zu ihrem Vater Gijs, der in seiner auf Flüchtigkeit basierenden Beziehungsstruktur ganz ähnlich gebaut ist wie sie, ihr diese womöglich überhaupt erst vorlebt. Seit dem frühen Tod der Mutter leben die beiden in einer engen Symbiose zusammen, die durch jeden weiteren Beziehungsabbruch neu manifestiert wird – und in ihrer Exklusivität schließlich bedroht wird, als Gijs dann doch eine verbindliche Beziehung eingeht.
Das Verhältnis von Vater und Tochter schildert der Film als nicht-sexuelles (wobei der Film andere Möglichkeiten nicht gänzlich ausschließt). Transgressiv ist es allemal: Die Inszenierung zeigt, wie Gijs und Hemel liebevoll auf dem Fußboden herumtollen, sich in den Armen liegen, Händchen haltend in der Oper sitzen. Einmal trägt Gijs die schlafende Hemel nachts auf die Toilette, zieht ihr den Slip herunter und setzt sie auf die Klobrille.
„Hemel“ wird in lose zusammenhängenden, mit Zwischentiteln überschriebenen Episoden erzählt. Der Film kommt ohne Psychologisierungen und dramaturgische Geschlossenheit aus, die Geschichte bleibt an ihren Rändern offen; nichts wird zu Ende erzählt. Illustrativ und mitunter haarscharf an Manierismen vorbei sind dagegen Ton und Bild: der gleitende, tranceartige Electro-Sound sowie der wiederholte Verlust von Tiefenschärfe. In diesen Momenten entgleitet Hemel der Kontakt zur Außenwelt; sie, die so offensiv Grenzen überschreitet, kann nicht mehr über die Schwelle treten, sie ist in sich eingeschlossen.