Man stelle sich vor, dass ein paar Nazi-Mörder, die für ihre Taten nie zur Rechenschaft gezogen wurden, sich damit nicht nur vor der Kamera brüsten, sondern ihre Verbrechen in einer Art fiktivem KZ-Film dann auch noch recht dilettantisch nachstellen. Dazwischen würden sie verlegen lächelnd, aber nie schockiert Einzelheiten aus Folterkeller und Gaskammer berichten. Unmöglich? Wohl schon. Im Ansatz ist dies aber genau das, was in „The Act of Killing“ geschieht.
„Mich verfolgen die Menschen, die ich mit Draht umgebracht habe“, klagt einer von ihnen. Das reicht anderen ehemaligen Folterknechten, um ihm den Gang zum Nervenarzt zu empfehlen. Anscheinend haben es Massenmörder nicht so leicht im Leben; und manchmal ertappt man sich tatsächlich dabei, dass man mit Menschen Mitleid hat, die Hunderte ihrer Artgenossen auf brutalste Weise zu Tode gefoltert haben. Wenn den Folterknechten dann nach Stunden mühseliger Tortur der Geduldsfaden riss, genügten ein paar Schläge mit dem Baseballschläger oder eine Drahtschlinge, um die Sache zu beenden. Oder man blies ihnen mit einer großkalibrigen Waffe das Hirn aus dem Schädel. Schließlich waren es ja Kommunisten oder Linke oder Chinesen, so genau nahm man es damals während der Kommunistenverfolgung nicht, die in Indonesien Mitte der 1960er-Jahre unter Präsident Sukarno auf US-amerikanische Veranlassung begann.
Peter Weir hat in „Ein Jahr in der Hölle“
(fd 24 024) diese Periode, die bis in die 1980er-Jahre andauerte, eindringlich skizziert; zum Antikommunismus kam seinerzeit auch anti-chinesischer Rassismus. In Joshua Oppenheimers mit vielen Vorschlusslorbeeren und Preisen bedachtem Dokumentarfilm „The Act of Killing“ wird diese Epoche nun auf überaus originelle Weise rekonstruiert.
Der doppelsinnige, das Publikum spaltende Grundeindruck seines Films klingt bereits im Titel an: Das englische Wort „Act“ bedeutet ja nicht nur „Tat“ oder „Handlung“, sondern meint auch die Arbeit des Schauspielers und verweist so auf einen spielerischen Zug, der im Kontexte der Massenmorde durch rechte Paramilitärs und Milizen eine frivole Note erhält.
Gespielt wird hier nämlich fortwährend. Die Bilder des Films stammen fast sämtlich aus der Gegenwart. Oppenheimer sucht die Mörder auf, die bereitwillig und mit unverhohlenem Stolz Auskunft geben. Schnell erklären sie sich bereit, ihre Taten in Form einschlägiger Kino-Vorbilder (von Bollywood bis zu „Der Pate“) nachzuspielen. Während dieser Form von „Reenactment“ geraten manche von ihnen durchaus ins Nachdenken.
„The Act of Killing“ ist verstörend und erschreckend, nicht zuletzt auch durch die Banalitäten, denen man hier zwei Stunden ausgesetzt ist. Man sieht Menschen in geschmacklosen Hawaii-Hemden und Wohnungen mit bescheidenem Wohlstand, man hört die üblichen Ausreden der Mitläufer und Diktatur-Schergen („It was wrong, but we had to do it“), vorgetragen in selbstherrlichem, arrogantem Ton.
Formal dominiert das theatralische Element, man sieht Menschen beim Einüben von Rollen zu, beim Spielen und Nachspielen. Das Kraftvolle und Surreale des Films, wie der Produzent Werner Herzog im Pressematerial notiert, liegt vor allem in den Fakten hinter den Bildern, weniger in den Bildern selbst. Es wird in diesem Film viel geredet, mitunter auch zerredet; bis sich kathartische Momente ereignen, müssen der Film und sein Publikum weite Wege zurücklegen.
Man sieht die Mörder als „Menschen“. Dass sie das sind, steht außer Frage. Der Umstand, dass man das dennoch eigens betonen muss, ist genau der Punkt. Denn dass die Mörder noch Menschen sind, ist angesichts der Unmenschlichkeit ihrer Taten gar nicht so selbstverständlich. Es sind die unfassbare Brutalität und die schwer erträgliche Alltäglichkeit ihrer Verbrechen, der Sadismus, der sie von anderen Menschen unterscheidet und charakterisiert, nicht die Tatsache, dass sie eine Familie haben oder nett zu ihren Enkeln sind.
Die Alpträume, die sie quälen, der Ekel, der sie angesichts ihrer Vergangenheit übermannt, sind bedauerlich. Es ist jedoch Relikt überholter Sentimentalität, anzumerken, dass ihre Opfer derartige Zipperlein sehr wohl gegen das eingetauscht hätten, was ihnen von diesen netten alten Herren angetan wurde. 40 Jahre später gestatten die sich nun auch ein wenig Erschütterung und haben dafür in Joshua Oppenheimer ein williges Sprachrohr gefunden, der ihren Erinnerungen auch noch ein hübsches Kunstmäntelchen umhängt.
In Indonesien mag der Film einen überfälligen Tabubruch bedeuten. Für europäische Zuschauer ist „The Act of Killing“ lediglich ein weiterer von vielen Dokumentarfilmen über Massaker und Genozide, die statt der direkten Präsentation der Fakten einen kunstvollen, im Ergebnis aber auch umständlichen und „um die Ecke gedachten“ Zugang versuchen – und damit die Brutalität häufig abdämpfen und vergeistigen. Was allenfalls dadurch zu rechtfertigen wäre, dass ein direkter Zugang mangels Material unmöglich ist.
Es ist das falsche Ergebnis. Denn salopp gesprochen, kann es dem Publikum egal sein, ob sich ein Massenmörder, der nie für seine Taten zur Rechenschaft gezogen wurde, bisweilen schlecht fühlt oder am Ende sogar übergeben muss; dieses Gefühl müsste sich ganz im Gegenteil vielmehr beim Zuschauer einstellen. Doch Oppenheimers trockene Betroffenheit sorgt dafür, dass man als Zuschauer stets auf der sicheren Seite bleibt.