Köln 5 Uhr 30 / 13 Uhr 30 / 21 Uhr 30

Dokumentarfilm | Deutschland 2012 | 84 Minuten

Regie: Dietrich Schubert

Im Jahr 1970 veröffentlichte der Kölner Fotograf Chargesheimer (1924-1971) seinen Bildband "Köln 5 Uhr 30" mit 64 Schwarz-Weiß-Aufnahmen verschiedener Plätze der Stadt, die er zu menschenleerer morgendlicher Stunde aufgenommen hatte. Der Dokumentarist Dietrich Schubert widmet diesem singulären Werk eine außergewöhnliche Hommage als stille Schule des Sehens, die sich an die architektonisch veränderten Orte zurückbegibt, zwei Zeitebenen hinzufügt und diese mit 360-Grad-Schwenks filmisch erweitert. - Sehenswert ab 12.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Filmproduktion Dietrich Schubert/WDR
Regie
Dietrich Schubert
Buch
Dietrich Schubert
Kamera
Dietrich Schubert
Schnitt
Stefan Schuster
Länge
84 Minuten
Kinostart
20.06.2013
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Man sieht eine Brücke bei Sonnenaufgang, von Autos in beiden Richtungen nur spärlich befahren. Dann beginnt sich die Kamera ganz langsam im Kreis zu drehen, bis sie nach rund zweieinhalb Minuten ihren Ausgangspunkt wieder erreicht hat. Man hört die Außengeräusche, die das sich mitdrehende Mikrofon einfängt. Keine Musik, kein Kommentar. Nach einem Schnitt beginnt das Spiel von vorn. Derselbe Ort, derselbe Standpunkt. Allerdings steht die Sonne nun deutlich höher am Himmel und der Verkehr ist merklich dichter geworden. Anschließend, in abendlichem Dämmerlicht, das Ganze noch einmal. Die Brücke, der 360-Grad-Schwenk der Kamera. Das dreigeteilte Prozedere wiederholt sich an anderen Standorten noch neun Mal. Eine filmische Versuchsanordnung, bei der man sich aufgrund der formalen Strenge unwillkürlich an experimentelle Werke wie Andy Warhols „Empire“ aus dem Jahr 1965 erinnert fühlt, im dem eine fixe Kamera acht Stunden lang die oberen Stockwerke des Empire State Building in New York ablichtete. Doch mit solchen, seinerzeit auch bewusst provokanten Spielereien hat die Produktion des renommierten Dokumentarfilmers Dietrich Schubert wenig gemein. Vielmehr handelt es sich um eine Hommage an den Kölner Fotografen Carl-Heinz Hargesheimer, der sich den Künstlernamen Chargesheimer gab und 1970 seinen letzten Bildband mit dem Titel „Köln 5 Uhr 30“ veröffentlichte. In der Silvesternacht 1971/1972 schied er durch Freitod aus dem Leben. Ein Porträt seiner Heimatstadt in 64 Schwarz-Weiß-Fotos, allesamt an verschiedenen Standorten jeweils morgens um 5 Uhr 30 aufgenommen. Bilder, auf denen bekannte und unbekannte Lokalitäten der Stadt, aber weit und breit keine Menschen zu sehen sind. Bereits 1996 hatte sich der Fotograf Wolfgang Vollmer mit seinem Foto-Buch „Köln 1970 1995“ vor Chargesheimers letztem Werk verneigt, in dem er dessen Bilder 25 Jahre später, wenn auch nicht durchgehend um 5 Uhr 30, quasi noch einmal aufnahm. Ließen sich bei Vollmer vor allem die Veränderungen der Stadt in vertikaler Zeitebene studieren, fügt Schuberts Film, der in einem Einschub einen kurzen Abriss zum Leben und Wirken des Fotografen gibt, dem nun auf der Horizontalen zwei weitere Dimensionen hinzu. Da ist zum einen die Ausweitung der Momentaufnahmen auf drei, jeweils durch acht Stunden getrennte Zeitpunkte eines Tages. Zum anderen sind es die 360-Grad-Schwenks, die einen Blick auf die Umgebung von Chargesheimers damaligen Standorten und Perspektiven erlauben. Natürlich muss man sich auf einen Dokumentarfilm wie diesen erst einmal einlassen. Wer das schafft, erlebt eine 84-minütige Schule des Sehens. Dass manche Plätze der Stadt 33 Jahre später durch architektonische Veränderungen kaum wiederzuerkennen sind, ist die geringste Überraschung. Spannender sind die Kreisschwenks, die –zumindest für Nicht-Kölner – erweiterte Blicke auf die jeweiligen Locations und ihre Sounds eröffnen. Wo die Kamera in der Nähe eines Biergartens steht, bekommt man Gesprächsfetzen mit oder entdeckt, dass hinter einem tristen Platz das pralle Leben tobt. Der Clou des Films sind jedoch die drei unterschiedlichen Zeitpunkte, zu denen die einzelnen Orte in den Blick genommen werden. Als Zuschauer ertappt man sich irgendwann bei der Frage, ob die achtlos auf den Gehweg geworfene Papiertüte auch acht Stunden später noch da liegen wird. Oder wundert sich, dass in der Stadt, die sich gerne als Weltmetropole gibt, um 21.30 Uhr kaum noch jemand auf der Straße ist. Und staunt über eine Baustelle, die mittags plötzlich da, am Abend aber schon wieder verschwunden ist, ohne irgendwelche Spuren hinterlassen zu haben. Mit einem abendlichen Gewitterregen, der in der letzten Einstellung in der Nähe des Doms niedergeht, hat dieser stille, präzise Film sogar auch noch so etwas wie ein krachendes Finale.
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