Zwei mittellange Kurzfilme deutschtürkischer Filmemacherinnen, die beide aus Berlin-Kreuzberg kommen und den Mythos des Stadtteils jeweils auf ihre Weise aktualisieren. "Bastarde" handelt von der interkulturellen Theaterarbeit am Ballhaus Kreuzberg, "Kiymet" ist ein Zwiegespräch mit der Großmutter, die nach langen Jahren als Ehefrau eines "Gastarbeiters" ans Mittelmeer zurückgekehrt ist. Insgesamt ein aufschlussreicher Blick auf Identität, Rassismus und Rollenzuschreibung.
- Ab 14.
Canim Kreuzberg
- | Deutschland/Türkei/Großbritannien 2012 | 90 Minuten
Regie: Canan Turan
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland/Türkei/Großbritannien
- Produktionsjahr
- 2012
- Produktionsfirma
- Canan Turan/Goldsmiths College ("Kiymet")/Asli Özarslan ("Bastarde")
- Regie
- Canan Turan · Asli Özarslan
- Buch
- Canan Turan · Asli Özarslan
- Kamera
- Canan Turan · Adriana Uribe · Duygu Sankan · Mustafa Yelekli · Ebru Tunçbilek
- Musik
- Uran Apak · Simone Vecchio
- Schnitt
- Canan Turan · Benny Kaya
- Länge
- 90 Minuten
- Kinostart
- 23.05.2013
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Externe Links
- IMDb
Diskussion
Von 1986 bis 1998 lief in der ARD eine Soap unter dem Titel „Liebling Kreuzberg“, mit Manfred Krug in der Hauptrolle. In den Geschichten um den vorwitzig-burschikosen Anwalt spielte der Berliner Bezirk Kreuzberg eine wesentliche Rolle fürs Lokalkolorit. In der medialen Wahrnehmung war das damals noch von der Molle & Korn- Mentalität geprägt, wie es die Gebrüder Blattschuss in ihrem Gassenhauer „Kreuzberger Nächte sind lang“ besangen. Heute heißt es „Canım Kreuzberg“, was, frei aus dem Türkischen übersetzt, „Liebling Kreuzberg“ bedeutet. Der Lokalpatriotismus ist geblieben, die Inhalte aber haben sich geändert.
„Wenn es irgend etwas in dieser Welt ist, dann ist Kreuzberg mein zuhause“. So drückt die Filmemacherin Canan Turan in ihrem Dokumentarfilm „Kıymet“ ihr Zugehörigkeitsgefühl zum Kiez aus. Damit dürfte sie vielen „Deutschtürken“ der zweiten und dritten Generation aus dem Herzen sprechen. „Kıymet“, das Zwiegespräch der Filmemacherin mit ihrer Großmutter, die nach langen Jahren als „Gastarbeiter“-Ehefrau in Deutschland in ihr Heimatdorf an der thrakischen Mittelmeerküste zurückgekehrt ist, bildet mit der 25-minütigen Dokumentation „Bastarde“ über die interkulturelle Theaterarbeit am Ballhaus Kreuzberg zusammen das Programm von „Canım Kreuzberg“.
„Bastarde“ zeigt, warum die Macher des „postmigrantischen Theaters“ sich als Schnittstelle zwischen Politik und Kunst verstehen. In ihren Stücken geht es um Identität, Rassismus und Rollenzuschreibungen. Dabei betont der Intendant Tuncay Kulaoğlu zu Recht, dass es in seinen Stücken um deutsche Geschichte gehe, zu der die Geschichte und die Geschichten der Migranten ja unlösbar gehören. In wenigen Sätzen faßt er das Wesen des „subtilen Rassismus“ zusammen. Und Regisseur Neco Çelik merkt an, dass, wenn er als „Türke“ Kleist inszeniere, „das mit Bildung zu tun hat; bei den anderen aber nicht. Das nervt mich.“ Kluge Analysen wechseln mit pointierten Randbemerkungen zum Verhältnis von „Deutschen“ und „Migranten“. „Bastarde“ macht deutlich, warum „Türken“, auch wenn sie und ihre Eltern hier groß geworden sind, in Deutschland immer „Türken“ bleiben.
Der Filmemacherin Aslı Özarslan geht es – manchmal zu deutlich; mitunter erreicht die Dokumentation sogar Manifest-Charakter, darum, die zentralen Thesen wiederzugeben, die in der Rassismusforschung vielleicht nicht zu den neuesten Erkenntnissen gehören, von der Gesellschaft aber auch 50 Jahre nach den ersten türkischen Einwanderern noch immer nicht zur Kenntnis genommen werden. Eine streitbare Arbeit, die filmisch allerdings wenig inspirierend im Wechsel von Talking Heads und Illustrationen (etwas Szenen aus den Theateraufführungen) verharrt.
„Kıymet“, betitelt nach dem Vornamen der Protagonistin, führt vom intellektuellen Überbau zurück ins richtige Leben. Regisseurin Canan Turan besucht ihre Großmutter, die ihre Lebensgeschichte erzählt: davon, wie sie und ihr Mann, der in der sozialistischen Partei aktiv war, die Türkei aus politischen Gründen verließen, wie ihr Mann in Berlin begann, sie zu terrorisieren, und dass sie heute gerne wieder in der Türkei lebt, deren menschliche Wärme sie schätzt. Im Gegensatz zu Deutschland, schwingt in den Untertönen mit, und so ergänzt die Enkelin die Oral History ihrer „Anneanne“ mit dem Bekenntnis zum Kreuzberger Heimatgefühl.
Turan beantwortet die zuvor von Tuncay Kulaoğlu gestellte Fangfrage, „Ich bin integrationswillig – ich weiß bloß nicht, wo hinein“, damit mit Kreuzberger Lokalpatriotismus. Das führt zum titelgebenden „Liebling Kreuzberg“-Wortspiel der Kompilation zurück, dessen Beiträge stilistisch nicht wirklich zusammenpassen. Letztlich geht es weniger um eine Reflektion von Identität und Rassismus als um den wiederholten Versuch, sich in der behaglich-politisch korrekten Kreuzberger Nische wohl zu fühlen. Das Kiez-Publikum wird in nachbarschaftlicher Selbstbestätigung nicken. Die Arbeit des Ballhaus Kreuzberg und die Lebensgeschichte der Kıymet Özdemir hätten es indes verdient, auch außerhalb des Stadtbezirkes diskutiert zu werden und nicht bloß als weiterer Farbtupfer im Lokalkolorit des „Mythos Kreuzberg“ zu enden.
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