Gelmeyen Bahar - Der Frühling ohne dich

Drama | Türkei 2013 | 140 Minuten (24 B./sec.)/135 (25 B./sec.)

Regie: Emrah Erdogan

Eine 17-Jährige verweigert sich einer arrangierten Ehe mit einem ihr unbekannten Cousin und findet auf der Flucht vor ihren Angehörigen den Tod. Aus vier unterschiedlichen Perspektiven beleuchtetes Drama, das exemplarisch zeigt, wie nicht nur Frauen, sondern auch die Männer zum Opfer eines patriarchalen Ehrbegriffs werden. Die Inszenierung setzt auf Pathos, ohne in Rührseligkeit zu ertrinken. Es geht ihr vielmehr darum, die Grenzen der Soap Opera zu überschreiten und durch die Mischung aus gesellschaftlicher Bodenhaftung und drastischer Emotionalität ein großes Publikum zu erreichen. (O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
GELMEYEN BAHAR
Produktionsland
Türkei
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Yagmur Ajans
Regie
Emrah Erdogan
Buch
Emrah Erdogan · Tarkan Atesmen
Kamera
Dogan Sarigüzel
Musik
Emrah Erdogan · Caner Tepecik
Schnitt
Emre As
Darsteller
Orhan Alkaya (Davut) · Beyza Sekerci (Bahar) · Hasan Küçükçetin (Mirza) · Ayse Kökçü (Neslihan) · Gürkan Tavukçuoglu (Özgür)
Länge
140 Minuten (24 B.
sec.)
135 (25 B.
sec.)
Kinostart
07.03.2013
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Seit einiger Zeit wird die Diskussion über die alltägliche Gewalt gegen Frauen in der Türkei pointierter geführt. Zuletzt machte die Schauspielerin Hülya Avsar im Rahmen einer Schock-Fotokampagne auf das Thema aufmerksam, in der sie als von ihrem Ehemann geprügelte Frau abgebildet wurde. Mit „Gelmeyen Bahar“ gibt es nun einen Film, der zeigt, dass nicht nur Frauen, sondern auch deren Männer zu den Opfern eines patriarchalen Ehrbegriffs und deren fatalen Folgen gehören. Das Spielfilmdebüt von Emrah Erdoğan skizziert das Schicksal der 17-jährigen Textilarbeiterin Bahar, die von ihren Angehörigen verfolgt wird, weil sie sich der arrangierten Ehe mit einem ihr unbekannten Neffen verweigerte. Der Film beleuchtet die Ereignisse, die zum Unfalltod der Gejagten führen, aus verschiedenen Perspektiven. Da ist zunächst Bahar, die sich mit einem Mann trifft, den sie im Internet kennengelernt hat, und der beim ersten Treffen versucht, sie zu vergewaltigen. Mirza, Bahars Bruder, ist ein heißblütiger Tagedieb, der vom Vater unter Druck gesetzt wird, endlich seiner Rolle als Mann im Haus gerecht zu werden. Was er als Aufforderung missversteht, Frau und Schwester zu unterdrücken. Die Eltern von Bahar und Mirza wurden selbst zwangsverheiratet; die Mutter flüchtet sich angesichts der Ereignisse in eisernes Schweigen, der Vater wird von seinem konservativen Bruder unter Druck gesetzt, endlich seine Tochter herzugeben. Seinen Frust säuft er in zwielichtigen Nachtclubs weg. Außerdem gibt es noch Söngüz, Mirzas Ehefrau, die zum Opfer seiner unberechenbaren Hasstiraden wird, und der liebevolle Özgür, der Bahar, nachdem sie von zu Hause geflohen ist, bei sich aufnimmt. In vier Episoden wird exemplarisch gezeigt, wie die Tradition auf allen Mitgliedern der Familie lastet. Der Druck wird so lange hin- und hergeschoben, bis der angestaute Frust sich in offener Gewalt oder im Rückzug ins innere Exil Bahn bricht. Das sind zwischengeschlechtliche Machtkämpfe aus einer gesellschaftlichen Realität, die das Freiheitsbedürfnis der einzelnen, auch der Männer, einschränkt und zu unglaublich viel Leid führt. Leid, das in der Inszenierung nicht zu kurz kommt. Das Drama entfaltet sich tränenreich und von einem wuchtig instrumentalisierten Soundtrack interpunktiert. Trotz allen Pathos’ reicht der Film weit über Betroffenheitslyrik hinaus. Denn irgendwann ist es ausgerechnet Mirza, der zuvor seine Ehefrau fast totgeschlagen hat, der den Druck nicht mehr aushält. Nachdem der Onkel von ihm verlangt, die ehrlose Bahar zu töten, schmeißt er ihn und seinen Clan kurzerhand aus der Wohnung. Ein filmisch wirkungsvoll inszenierter Befreiungsschlag, mit dem das Schweigen gebrochen wird. „Gelmeyen Bahar“ ist ein Film, der das patriarchale Dogma der „Familienehre“ in einen Toleranzbegriff umdeuten will. Der eine Katharsis zeigt, an deren Ende die junge Bahar und ihr Schutzengel Özgür mit dem Leben dafür bezahlen müssen, dass – vielleicht – eine bessere Gesellschaft entsteht. Mit dem Segen des Imam übrigens, der beim Freitagsgebet vergeblich gegen männliche Doppelmoral anpredigt und erklärt, dass der Koran Gewalt gegen Frauen und das Brechen der Herzen verbiete. Das Ende macht „Gelmeyen Bahar“ zwar zum tränenreichen, aber keineswegs rührselig-voyeuristische Lehrstück. Der Film ist vielmehr ein sozial engagiertes Kino, das die Grenzen zur Soap Opera bewusst überschreitet, um mit seiner Mischung aus gesellschaftlicher Bodenhaftung und drastischer Emotionalität ein großes Publikum zu erreichen.
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