Schimpansen aus Sierra Leone, die Mitte der 1980er-Jahre als Versuchsobjekte für einen Pharmakonzern nach Österreich gebracht wurden, finden in einem Safari-Park bei Wien eine neue Heimat. Der hellsichtige Dokumentarfilm beobachtet die ersten Schritte der traumatisierten Affen in ihr neues Leben und macht den Umgang mit ihnen zum Spiegel einer grundlegenden Reflexion über das Verhältnis von Menschen und Tieren. Es sind Motive, in denen auch das Gefühl mitschwingt, dass viele Menschen im Grunde noch immer nichts begriffen haben; denn erneut werden die Tiere zu Objekten degradiert, diesmal für eine sensationslüsterne Öffentlichkeit. (Teils O.m.d.U.; Kinotipp der katholischen Filmkritik)
- Sehenswert ab 14.
Unter Menschen
Dokumentarfilm | Deutschland/Österreich 2013 | 95 (24 B./sec.)/91 (25 B./sec.) Minuten
Regie: Christian Rost
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Filmdaten
- Originaltitel
- UNTER MENSCHEN
- Produktionsland
- Deutschland/Österreich
- Produktionsjahr
- 2013
- Produktionsfirma
- DENKmal-Film/WDR/ORF
- Regie
- Christian Rost · Claus Strigel
- Buch
- Christian Rost
- Kamera
- Waldemar Hauschild
- Musik
- Wolfgang M. Neumann
- Schnitt
- Julia Furch
- Länge
- 95 (24 B.
sec.)
91 (25 B.
sec.) Minuten - Kinostart
- 21.03.2013
- Fsk
- ab 6; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
Heimkino
Diskussion
Sie heißen Bonnie und Clyde, Xsera und Gabi, Johannes und Pepi und leben seit langem hinter Gittern: 40 Schimpansen aus Sierra Leone, von denen jeder sieben Mal so stark ist wie ein Mensch. In den 1980er-Jahren wurden die Tiere als Versuchsobjekte für die Entwicklung von Aids- und Hepatitis-Impfstoffen nach Österreich gebracht. Man verfrachtete sie in sechs Quadratmeter große Boxen aus Beton, Glas und Gitterstäben: Räume ohne Tageslicht und ohne Kontakt zu den Artgenossen. Naturschützer prangerten diesen Ort „katastrophaler Tierquälerei“ an, weitgehend ohne Erfolg. Erst nachdem der Pharmakonzern Immuno nach 15 erfolglosen Jahren die Versuche einstellte, trat ein Resozialisierungsprojekt für die Affen in Aktion. Zur neuen Heimat der traumatisierten Schimpansen wird ein Safaripark bei Wien. Hier müssen sie lernen, wieder miteinander umzugehen, die Natur zu spüren, Vögel zu hören. Ein später Akt der Wiedergutmachung: „Für die Schimpansen ist es das Höchste, was wir ihnen noch geben können“, sagt eine der Pflegerinnen.
Christian Rost und Claus Strigel bereiten diese für das Verhältnis zwischen Mensch und Natur im modernen Industriezeitalter so bezeichnende Geschichte spannend wie einen Krimi auf. Dabei folgt die äußere dramaturgische Form des Films dem jahrelangen Prozess, mit dem die neue Lebensetappe der gequälten Kreaturen vorbereitet und durchgeführt wird: ihre Übersiedlung in den Safaripark. Zum inneren Kern der Fabel gehört die Beobachtung der Beziehungen zwischen den Affen und ihren ausschließlich weiblichen Betreuerinnen. Diesen Frauen ist in nahezu jedem Moment anzumerken, wie emphatisch sie den seelisch verletzten Tieren begegnen: Da gibt Momente des Mitleids, der Zuneigung, auch der Empörung. Die Pflegerinnen sind gleichsam mit in die Betonkäfige eingesperrt und bereiten sich mit auf den bevorstehenden Moment einer zumindest relativen Freiheit vor.
Zugleich dokumentieren die Regisseure die Genesis des Einsatzes der Affen als Versuchsobjekte, etwa welche Rolle der berüchtigte Tierhändler Franz Sitter dabei spielte, der in Sierra Leone Geschäften mit Elfenbein, Diamanten und „wilden“ Tieren nachging. Sie fragen nach der Reaktion staatlicher Behörden auf dessen dubiose Machenschaften. Sie erkunden, wenngleich etwas knapp, wer die Unternehmungen politisch und finanziell absicherte und davon auch heute noch von nichts wissen will. Ein Satz wie „Kameraden aus dem Zweiten Weltkrieg deckten sich gegenseitig“ hätte durchaus nach einer Erläuterung verlangt. Möglicherweise gibt es diese Recherche längst und der Film sparte nur aus, was in Österreich allgemein bekannt ist. Nicht zuletzt deutet „Unter Menschen“ an, was der Widersand gegenüber den Tierversuchen zu leisten vermochte.
Der Film endet mit Bildern der Übersiedlung in den Safaripark. Es sind Motive, in denen auch das Gefühl mitschwingt, dass viele Menschen im Grunde noch immer nichts begriffen haben. Denn die Tiere werden erneut zu Objekten degradiert, diesmal für eine sensationslüsterne Öffentlichkeit, die mit ihren Kamerateams nur darauf zu warten scheint, dass irgendetwas passiert. Etwas Schönes oder etwas Schreckliches, ganz egal: Hauptsache, es belebt das Geschäft.
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