An einem sonnigen Junitag im Jahr 1939 biss King George VI von England im Staate New York in einen Hotdog. Es war „eine Zeit, die sich noch kleine Geheimnisse“ erlaubte – mit amerikanischen Paparazzi, die den Gast von der Insel und ihren Präsidenten respektvoll gerade nicht im Badeanzug ablichteten, und einer Diskretion, die dem mächtigsten Mann Amerikas ein ganzes Arsenal an Affären zugestand. Die Rede ist von Franklin D. Roosevelt, dem einzigen US-Präsidenten, der dreimal ins Amt gewählt wurde, obwohl er als Kind an Polio erkrankt war und deshalb im Rollstuhl saß, und von „Bertie“, dem stotternden König George aus „The King's Speech“
(fd 40 315). 1939 war ein Jahr, in dem sich Amerika in Neutralität einigeln wollte, während sich die Stimmung in Europa erhitzte und das britische Königshaus angesichts des deutschen Faschismus um seinen Fortbestand bangte.
Das ist der weltpolitische Hintergrund, vor dem sich Roger Michells Film „Hyde Park am Hudson“ als Porträt des ersten Besuchs eines britischen Königs beim amerikanischen Präsidenten ins ganz Private zurückzieht. Die ausgezeichnete Kamera von Lol Crawley lotet die Schärfe-Unschärfe-Korrelation ihrer Bilder aus und versteckt sich oft in anderen Räumen, hinter weit geöffneten und geschlossenen Türen, wodurch dieser Einblick in die Hinterzimmer der Macht sehr augenscheinlich wird. Der Präsident mit dem Handicap und der chronischen Nasennebenhöhlenentzündung beherbergt in Hyde Park am Hudson River, im Anwesen seiner herrischen Mutter, mit Bertie und Gattin Queen Elizabeth zwei verunsicherte Monarchen, die nicht verstehen, wie man in ihre Schlafzimmer Karikaturen britischer Marinesoldaten hängen kann und warum man ihnen beim bevorstehenden Picknick mit dem erniedrigenden Hauptgang Hotdogs „droht“.
Eine Vielzahl amüsanter, vermeintlicher Affronts wird dieses Juniwochenende zwölf Wochen vor Kriegsbeginn für das Königspaar beinhalten, das zu rätseln beginnt, ob und wer sich hier eigentlich über sie lustig machen will, während sie doch nur gute Stimmung für sich und ihr Land machen wollten.
Es ist eine charmante, oft in die Absurdität abrutschende Stippvisite, von der uns Daisy, Roosevelts Cousine fünften Grades, hier erzählt. Oder besser erzählen davon die Tagebücher und Briefe an ihren Liebhaber Franklin, die post mortem unter ihrem Bett gefunden wurden und aus deren intimen Einblicken der amerikanische Autor Richard Nelson ein hinreißendes Drehbuch für einen entschleunigt klugen Film verfasst hat. Neben Daisys Leben voller Sonnen- und Schattenseiten an der Seite eines umtriebigen Roosevelt mit seinen spekulativen Affären wird nämlich auch die Frage verhandelt, wie ein Volk oder eine Geliebte die Männer, die sie anbeten, so anders wahrnehmen können, als sie wirklich sind. Köstlich kurzweilig wie dieser angebissene Hotdog, der später im Krieg Früchte tragen wird, ist der stille Humor von Roger Michells Inszenierung geraten, der bereits in „Notting Hill“
(fd 33 730) zwei Welten in all ihrer Schrulligkeit zusammenprallen ließ. Diesmal allerdings nicht die eines Otto Normalbürgers und einer berühmten amerikanischen Schauspielerin, sondern die völlig verschiedenen Welten eines britisch adeligen und eines amerikanisch ruppigen Umgangstons, der zunächst alle aneinander vorbeireden lässt.
„Der höchste Wasserfall der Welt auf so einer kleinen Briefmarke“, das sagt Roosevelt, der so gerne mit großen Lupen auf winzige Briefmarken starrt, gleich zweimal – eine Paraderolle für Bill Murray mit seinem müden Blick unter der gerunzelten Stirn, hinter der der Verstand nie zu ruhen scheint. Überlegen bis selbstverliebt sitzt er hinter seinem großen Schreibtisch, hält Bertie große Reden und führt ihn unbemerkt als den Jungen vor, den Elizabeth nie der Öffentlichkeit zu zeigen bereit wäre. Kleine Dramen entschärft dieser clever gutmütig gezeichnete Taktiker vom Hudson River, während sich im „Draußen“ der Weltpolitik die ganz großen anbahnen. In Arbeitszimmer und königlichem Schlafgemach offenbaren sich dabei zugleich zutiefst menschliche Unsicherheiten, von deren Aufdeckung auch Adeligen-Porträts wie Stephen Frears „Die Queen“
(fd 37 965) profitierten. Es ist dieser Blick ins Innenleben der Mächtigen, die nach außen eine Fassade der Perfektion aufbauen müssen, der einige liebevoll angesetzte Spitzen bereithält – vor allem, wenn klar wird, wer in diesen Beziehungen die Hosen anhat und wer sie gerne mal runterlässt.