Die Nacht der Giraffe
Drama | Indonesien/Deutschland/Hongkong/VR China 2012 | 96 (24 B./sec.)/92 (25 B./sec.) Minuten
Regie: Edwin
Filmdaten
- Originaltitel
- KEBUN BINATANG
- Produktionsland
- Indonesien/Deutschland/Hongkong/VR China
- Produktionsjahr
- 2012
- Produktionsfirma
- babibutafilm/Pallas Film
- Regie
- Edwin
- Buch
- Edwin
- Kamera
- Sidi Saleh
- Musik
- Dave Lumenta
- Schnitt
- Herman Kumala Panca
- Darsteller
- Ladya Cheryl (Lana) · Nicholas Saputra (der Magier) · Adije Nur Ahmad (der Chef) · Klarysa Aurelia Raditya (die junge Lana) · Dave Lumenta (Oom Dave)
- Länge
- 96 (24 B.
sec.)
92 (25 B.
sec.) Minuten - Kinostart
- 17.01.2013
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 12.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Gleich am Anfang steht ein Verlust. Ein kleines Mädchen in einem gelben Kleid ruft nach seinem Vater. Es befindet sich in einem nächtlichen Zoo, streift allein durch Büsche und Wäldchen und läuft die Wege entlang, auf denen bei Tage die Zoobesucher flanieren, um die Tiere zu beobachten. Die Kleine wird ihren Vater nicht finden. Doch der Dunkelheit und Verlassenheit zum Trotz wirkt die Szene ruhig, fast heiter, die Kleine weniger verängstigt als neugierig: Die „Nacht der Giraffe“, der zweite lange Spielfilm des indonesischen Regisseurs Edwin, erzählt eigentlich ein Drama, aber er tut es gänzlich undramatisch im Gestus einer versponnenen Expedition in die wundersame Welt der Tiere, zu denen auch die Menschen gezählt werden. Die Lexikon-Zitate, die zoologische Fachbegriffe erläutern und den Film strukturieren, lassen sich nie nur auf die Fauna hinter den Gittern und Mauern der Gehege anwenden, sondern auch auf das Schicksal der weiblichen Hauptfigur.
Nach der Eröffnungssequenz ist Lana zur jungen Frau heran gewachsen und wird zur Heldin eines verträumten Initiationsabenteuers. Offensichtlich wurde sie im Zoo zurückgelassen und von den Tierpflegern sowie den Obdachlosen, die den Tierpark als ihr Heim ansehen, aufgezogen. Lana scheint in der gezähmten Dschungellandschaft zwischen den Tieren, den Wärtern und Besuchern ein glückliches Leben zu führen. Doch dann begegnet sie eines Tages einem jungen Mann im Cowboy-Kostüm, der sie mit magischen Tricks fasziniert und dazu animiert, ihm in die Welt jenseits des Zoos zu folgen. Auf diese Weise „ausgewildert“, schlägt sich Lana mit ihrem Cowboy durchs Leben, indem sie ihm bei seinen Zauberkunststückchen assistiert. Plötzlich aber ist der Cowboy nach einem magischen Kunststück wie vom Erdboden verschwunden, und Lana muss allein zurechtkommen. Ein schmieriger Gangster bringt sie in einem Massagesalon unter, wo sie angeleitet wird, die Kundschaft zu bedienen. Doch damit will sich Lana nicht zufrieden geben.
Der Zoo, wie ihn Edwin schildert, erscheint als nahezu magischer Ort paradiesischer Unschuld: Mensch und Tier koexistieren in schöner Eintracht, sogar Bären und Tiger lassen sich liebevoll schmusen; eine Kleinbahn mit bunten Waggons in Form von Dinosauriern oder anderen Tieren, die gemütlich durchs Gelände zuckelt, unterstreicht die kindliche Anmutung. Von den Härten der quirligen Stadt Jakarta seltsam losgelöst, ist der Ort eine Zuflucht für jene, die ihre Heimat verloren haben: für die Tiere, die aus ihren natürlichen Lebensraum herausgenommen wurden, wie auch für Menschen wie Lana und andere Obdachlose, die nirgends dazugehören. Lanas aufkeimende Liebe zu dem seltsamen Cowboy und ihr Ausbruch in die Welt jenseits der Zoo-Mauern könnte insofern eine Art „Vertreibung aus dem Paradies“ sein, doch diese Bewertung unterläuft Edwin durch den entspannten, träumerischen Erzählgestus, mit dem er Lana auch auf ihren Wegen durch Jakarta folgt. Wie die junge Frau im Massagesalon mit den Männerkörpern umgeht, wirkt kaum anstößiger als ihr Umgang mit dem jungen Tiger, den sie im Zoo mit anderen Wärtern zusammen gebadet hat. Anders als das Mädchen, das man zuvor als missbrauchte und geprügelte Gespielin des Gangsters gesehen hat, wird Lana nicht zum Opfer, sondern bleibt die aufmerksame, forschende Beobachterin, die sie auch im Zoo war, nur dass es jetzt das Säugetier Mensch ist, dem ihr neugieriger Blick gilt.
Auf eine sehr sanfte Weise, die Melancholie mit leisem Humor ausbalanciert, erzählt Edwin eine wunderbare Coming-of-Age-Geschichte um die Sehnsucht nach einem Zuhause und nach Zugehörigkeit. Und um die Akzeptanz, dass dazu notwendigerweise erst einmal eine Suchbewegung gehört. Dass die Unbehaustheit der Protagonistin nichts Tragisches hat, rührt von einer Perspektive her, die zwar die Härten und Schattenseiten einschließt, letztlich aber eine große Zugeneigtheit zur Welt und zu den lebenden Dingen atmet.