Zwei Studentinnen verbindet eine enge Freundschaft, die ihre flüchtigen Beziehungen zu Männern an Intensität und Vertrautheit in den Schatten stellt. Ihre Bindung wird auf die Probe gestellt, als eine der beiden ungeplant schwanger wird, sich entscheidet, das Kind zu behalten, es dann aber verliert. Ein subtiles, zunächst schnell in fragmentarischen Szenen, später sich ruhig entfaltendes Drama, das sich mit diversen Facetten gegenwärtiger weiblicher Identität - im Verhältnis zu sich selbst und dem eigenen Körper, zu Männern, Eltern, zur Mutterschaft - auseinandersetzt. In der Hauptrolle herausragend gespielt.
- Sehenswert ab 16.
Am Himmel der Tag
Drama | Deutschland 2012 | 89 (24 B./xec.)/86 (25 B./sec.) Minuten
Regie: Pola Beck
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2012
- Produktionsfirma
- ALINFilmprod./Osiris Media/Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf" (HFF)
- Regie
- Pola Beck
- Buch
- Burkhardt Wunderlich
- Kamera
- Juan C. Sarmiento Grisales
- Musik
- Ninca Leece
- Schnitt
- David J. Rauschning
- Darsteller
- Aylin Tezel (Lara) · Henrike von Kuick (Nora) · Tómas Lemarquis (Elvar) · Godehard Giese (Martin) · Marion Mitterhammer (Claudia, Laras Mutter)
- Länge
- 89 (24 B.
xec.)
86 (25 B.
sec.) Minuten - Kinostart
- 29.11.2012
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Diskussion
Die ersten Bilder, unscharf zunächst, entpuppen sich als extreme Nahaufnahmen von zwei knutschenden Mädchenmündern, Zärtlichkeiten unter Freundinnen mit der vagen Möglichkeit auf mehr. Bald wird man beide kennen lernen, die Konkurrenz und die Brüche spüren, die die Freundschaft der beiden Architektur-Studentinnen prägen. Als Hauptfigur kristallisiert sich die dunkelhaarige Lara heraus. Ihr Studium macht sie nur widerwillig, den Eltern zuliebe. Sie ist ernst, melancholisch und wirkt manchmal einfach traurig. Nora erscheint sprunghafter, von frivoler Verspieltheit. Zuerst sieht man beide in der Uni, am See, abends in einem Club, und wundert sich nicht, dass Nora etwas mit dem jungen Professor anfängt. Überraschend ist indes Laras Erstaunen. Noch am selben Abend hat sie schnellen Sex mit dem Barkeeper, offenkundig eine Kurzschlusshandlung, um ihre diffuse Kränkung zu kompensieren. Diffus, weil unklar bleibt, wem Laras Eifersucht eigentlich gilt: dem Professor oder Nora? Zumindest die Möglichkeit, dass der Film unausgesprochen von einer verkappten lesbischen Liebesbeziehung erzählt, bleibt bestehen.
Die Handlung entwickelt sich zunächst in eine völlig andere Richtung: Als Folge des One-Night-Stand wird Lara schwanger. Nach anfänglicher Abwehr entschließt sie sich, die Situation anzunehmen und das Kind zu bekommen. Sehr sensibel und glaubwürdig sind die Szenen, in denen der Film den Schock und schnellen Frust Laras beschreibt, und zeigt, wie in ihr der Gedanke wächst, Mutter zu sein. Gerade in dieser Phase des Films sind die Dialoge mitunter sehr explikativ, und auch der Wutanfall von Laras Mutter wirkt etwas „over the top“. Gern hätte man stattdessen mehr, dafür weniger holzschnittartige Einblicke in die Kältezonen jenes bürgerlichen Milieus bekommen, aus dem Lara stammt. Allmählich entwickelt sich die Freude auf das Kind. Dann der Schock: Das Kind stirbt im Mutterleib. Lara will dies zunächst nicht wahrhaben, zum Teil aus Fassungslosigkeit, Trauer und Schock, zum Teil vielleicht auch, weil der Kindsverlust eine neuerliche Kränkung für die junge Frau darstellt und es ihr wieder nicht gelungen ist, „etwas richtig zu machen“. Sie ignoriert die schreckliche Wahrheit wie den Rat der Ärzte. Erst nach einem Zusammenbruch wird sie in Lebensgefahr vom toten Kind entbunden.
Die Hintergründe dieser „stillen Geburt“ – so der Fachbegriff – hat Pola Beck en Detail recherchiert. Sie bilden das zumindest offenkundige Thema des Films und sind Anlass zu einigen von Aylin Tetzel großartig gespielten Szenen. Aylin Tezel steht ganz im Zentrum des Films; souverän meistert sie selbst schwierigste Situation und empfiehlt sich mit diesem Part auch für Kinohauptrollen. Auch die Arbeit von Pola Beck muss man loben. Die Berliner Regisseurin erzählt in ihrem Spielfilmdebüt überaus effektiv, anfangs in kurzen, fragmentarischen Momenten recht schnell, später ruhiger, mehr aufs Atmosphärische und auf ihre Hauptfigur konzentriert. Zwei, drei Manierismen, wie sie immer nur in deutschen Filmen auftauchen, wären verzichtbar gewesen – etwa das „herrlich verrückte“ Wohnung-Streichen in bunten Farben zu lauter Pop-Musik. Doch davon abgesehen ist „Am Himmel der Tag“ ein außergewöhnliches Debüt. Die Geschichte einer emotionalen wie körperlichen Achterbahnfahrt besitzt untergründig wirksame Facetten: Unübersehbar ist, wie einsam beide junge Frauen sind, insbesondere Lara. Gezeigt werden in den Momenten ihrer höchsten Not nicht nur das Versagen der Umwelt, sondern indirekt auch Lücken eines Gesundheitssystems, das Frauen sich selbst überlässt, wenn sie gerade am ärgsten Hilfe nötig hätten.
In den beiden einsamen Mädchen begegnet man zwei jungen Erwachsenen, die noch überaus kindlich sind, so gar nicht erwachsen, und die unter den Erwartungen ihrer Eltern leiden, sich aber nicht selbstbewusst zur Wehr zu setzen wissen. Wie repräsentativ sind sie für ihre Generation? Genau betrachtet leiden alle wichtigen Filmfiguren unter einem Aufmerksamkeitsdefizit ihrer Umgebung.
Schließlich sind da noch die erwähnten verkappten homoerotischen Untertöne der Handlung. Männer spielen im Leben von Lara und Nora eine untergeordnete Rolle. Ihre Beziehungen sind kurz und schmerzhaft, Männer schwach, unentschlossen, irgendwie sonderbar und überflüssig. Dagegen ist die Beziehung der beiden jungen Frauen zunächst von Zuneigung und gegenseitigem Vertrauen geprägt, dann von ihrer Enttäuschung. Als Lara schwanger wird, sagt Nora zunächst: „Wir schaffen das.“ Dann ängstlich: „Es wird alles anders werden, oder?“ Die enge Bindung zwischen Lara und Nora bleibt unausgesprochen, ist aber unübersehbar. Tragische Untertöne und Elemente des Melodrams begleiten die filmischen Stationen ihrer Beziehung. „Am Himmel der Tag“ ist nicht zuletzt ein Kinostück über Facetten gegenwärtiger Weiblichkeit; eine subtile visuelle Meditation über die Errettung des weiblichen Körpers.
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