Dokumentarfilm | Deutschland 2011 | 81 (24 B./sec.)/78 (25 B./sec.) Minuten

Regie: Carolin Schmitz

Dokumentarfilm über Menschen, die mit Hilfe der plastischen Chirurgie ihr Aussehen optimieren. Ohne jeden Kommentar lässt der Film die Protagonisten über ihre "Nachbesserungen" am eigenen Körper berichten, beleuchtet ihren Lebensstil und ihre Lebensentwürfe. Dabei gelingt ein bei aller Zurückhaltung kritischer, bisweilen auch polemischer Blick auf zeitgenössische Perfektionsbestrebungen sowie den immer radikaleren Hang zur Selbstinszenierung. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
unafilm/ZDF (Das kleine Fernsehspiel)
Regie
Carolin Schmitz
Buch
Carolin Schmitz
Kamera
Hajo Schomerus
Schnitt
Stefan Oliveira-Pita
Länge
81 (24 B.
sec.)
78 (25 B.
sec.) Minuten
Kinostart
04.10.2012
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Anders als in Carolin Schmitz’ herausragender Dokumentation „Portraits deutscher Alkoholiker“ (fd 40 568) sind die Protagonisten ihres neuen Dokumentarfilms diesmal auch vor der Kamera zu sehen. Das hat seinen Grund, denn für seine Alkoholprobleme mit dem eigenen Gesicht einzustehen ist offensichtlich weit weniger populär als über Strategien der Selbstoptimierung zu berichten, die mit großer Selbstverständlichkeit den eigenen Körper chirurgischen Eingriffen unterziehen. Carolin Schmitz hat für „Schönheit“ nach Protagonisten gesucht, die erzählen, welchen Raum die Schönheitschirurgie in ihrem Leben einnimmt. Durch die Präsenz der Menschen vor der Kamera ändert sich auch der Status der Umgebungen, innerhalb derer sie Stellung nehmen. In „Portraits deutscher Alkoholiker“ waren oder schienen beide Diskurse (Bild und Ton) kontingent; hier verweisen sie aufeinander: Wenn die junge Automobilkauffrau, die sich ihre zunächst unterschiedlich großen Brüste hat stylen lassen, mit einer Freundin durch eine Automobilausstellung schlendert, um ihrer Begeisterung für teure BMWs freien Lauf zu lassen, dann wirkt das zunächst etwas irritierend. Ergänzende Szenen machen dann später deutlich, dass man es hier mit einer extrem selbstbewussten Frau zu tun hat, die nachdrücklich daran arbeitet, ihren in jeder Hinsicht dynamischen Lebensentwurf als erfolgreiche Jungunternehmerin zu optimieren. Sie spricht über ihren Körper, wie sie über ihre präferierten Autos spricht. Andere Protagonisten treten hinzu, sehr auskunftsbereit und mit offenkundiger Lust an der Selbstinszenierung. Da ist der sportliche Mittfünfziger, der mit großer Aufmerksamkeit daran arbeitet, dass sein Körper in Schuss bleibt, und der seine vielfältigen Sozialkontakte sorgsam plant. Hier bleibt lange unklar, welchen Beruf er wohl ausübt; am Ende wird es eine Überraschung geben. Da ist die Mittvierzigerin, die sich ihre Brüste hat vergrößern lassen und die ihre diesbezüglichen Interessen derart professionalisiert hat, dass ihr Internet-Forum zu diesem Thema zum Lebensinhalt wurde. Da ist der Schönheitschirurg, der nicht nur eloquent zum Thema spricht, sondern sich morgens auch schon mal selbst vorm Badezimmerspiegel eine Botox-Spritze setzt. Allen Porträtierten gemeinsam ist ihr Umgang mit dem Thema „Schönheitschirurgie“: Man legt sich offenbar mit derselben Sorglosigkeit und Selbstverständlichkeit unters Messer, mit der man mit seinem Auto regelmäßig zum TÜV fährt oder den Mantel in die Reinigung bringt. Überrascht das noch? Mit Plattitüden wie derjenigen, dass alle Schönheit von innen komme, ist diesen Menschen gewiss nicht angemessen zu begegnen. Nach eigener Aussage wurde Carolin Schmitz zu ihrem Film durch die Beobachtung angeregt, dass Schönheitschirurgie heute nicht mehr dazu diene, einen körperlichen Makel zu entfernen, sondern immer mehr dazu, seinen Körper nach den eigenen Schönheitsvorstellungen zu optimieren. Selbstredend – da sind sich alle Befragten einig (oder sich des legitimatorischen Diskurses bewusst) – tut man dies „für sich selbst“ und nicht, um sich herrschenden Schönheitsvorstellungen oder gar den Schönheitsvorstellungen des Partners zu unterwerfen. Zwar wird letzteres im Verlauf des Films zusehends in Frage gestellt, etwa wenn eine über 90-Jährige darüber sinniert, dass sie nicht das unattraktive Mauerblümchen bei einer Gesellschaft sein möchte; trotzdem aber rückt der subjektive Begriff von Schönheit, dem hier gefolgt wird, ins Zentrum. Zu diesem Zweck schafft Carolin Schmitz Situationen, Räume oder Tableaus, in denen ihre Protagonisten sich in ihrem (stilisierten) Alltag präsentieren. Da ähnelt dann die Wohnungseinrichtung der Automobilkauffrau und ihres Partners farblich dem Design ihres schicken, nicht zu sportlichen Autos. „Freiheit“ steht bei dem Paar, das im Leben auf bestimmte Standards setzt, hoch im Kurs; Kinder würden da „erst einmal“ nur stören. In manchen Szenen ähnelt der Film hier den frühen, halbdokumentarischen Filmen von Ulrich Seidl, etwa „Tierische Liebe“ (fd 32 066), bei denen auch nie ganz klar war, ob der Filmemacher seine Figuren denunziert oder die Filmfiguren dies (als „Selbstentlarvung“) selbst übernehmen. Unklar, ob derjenige Zuschauer, der vorschnell noch eine Denunziation wittert, seinerseits die Zeichen der Zeit nur noch nicht verstanden hat. Bei allem Bemühen um neugierige, nicht vorschnell wertende Objektivität wird klar, dass Carolin Schmitz sehr wohl eine Meinung zu dem hat, was sie zeigt. Die Menschen, die sie ausgewählt hat, repräsentieren eben auch allerlei Spleens und Macken – und immer mal wieder schlägt „Schönheit“ um in boshafte Polemik, ohne dass dafür eine Kommentar-Ebene bemüht werden müsste. Wenn am Schluss die junge Autohändlerin mit ihrem Partner in einen etwas futuristisch anmutenden Sport-Boliden steigt, der sich vor den Augen des Zuschauers in ein Cabrio verwandelt, dann wird für Momente deutlich, dass man es hier mit einem Pendant zu Carmen Losmanns „Work Hard Play Hard“ (fd 41 005) zu tun hat: Deren Blicke auf Büroarchitektur und Büroarchitektur-Ideologie werden durch die irritierenden Lebenswelten, die Carolin Schmitz filmisch erkundet, vorzüglich ergänzt.
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