Biografischer Spielfilm über die Philosophin Hannah Arendt (1906-1975), vor allem ihre Beobachtung und Bewertung des Prozesses gegen Adolf Eichmann, die sie in ihrem Text "Die Banalität des Bösen" zusammenfasste. Verdichtet zum dynamisch erzählten Porträt einer höchst bemerkenswerten Denkerin, fesselt der Film als spannendes, persönliches wie geistiges Drama, bei dem besonders die Schilderung des New Yorker Milieus der deutsch-jüdischen Emigranten um 1961 überzeugt. Filmisch "atmet" er freilich nur bedingt; auch verschreibt die Inszenierung sich zu sehr einer Binnenperspektive, um eine kritischere Distanz zur Hauptfigur zu ermöglichen und die Kontroversen um ihre Schriften differenziert nachvollziehbar zu machen.
- Ab 14.
Hannah Arendt
Biopic | Deutschland/Frankreich/Israel/Luxemburg 2012 | 113 Minuten
Regie: Margarethe von Trotta
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Filmdaten
- Originaltitel
- HANNAH ARENDT
- Produktionsland
- Deutschland/Frankreich/Israel/Luxemburg
- Produktionsjahr
- 2012
- Produktionsfirma
- Heimatfilm/MACT Prod./Minotaurus Film/Metro Comm./Degeto/WDR
- Regie
- Margarethe von Trotta
- Buch
- Pam Katz · Margarethe von Trotta
- Kamera
- Caroline Champetier
- Musik
- André Mergenthaler
- Schnitt
- Bettina Böhler
- Darsteller
- Barbara Sukowa (Hannah Arendt) · Axel Milberg (Heinrich Blücher) · Julia Jentsch (Lotte Köhler) · Ulrich Noethen (Hans Jonas) · Klaus Dieter Pohl (Martin Heidegger)
- Länge
- 113 Minuten
- Kinostart
- 10.01.2013
- Fsk
- ab 6; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Biopic
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Die Edition enthält eine Audiodeskription für Sehbehinderte. Der Film, der im Kino komplett durchsynchronisiert war, ist auch in der zweisprachigen Variante (Deutsch & Englisch) abrufbar. Die Extras umfassen u.a. Audiokommentar mit Regisseurin Margarethe von Trotta, ein Feature mit im Film nicht verwendeten Szenen (6 Min.), ein längeres "Making of" (29 Min.) sowie ein 40-seitiges Booklet mit Informationen zum Film.
Diskussion
Im Jahr 1961 reiste die aus Deutschland stammende US-Philosophin Hannah Arendt (1906-1975) für einige Wochen nach Jerusalem, um als Reporterin des „New Yorker“ den Prozess gegen den NS-Täter Adolf Eichmann zu verfolgen. Ihr langes Essay „Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen“, das zuerst in fünf Magazin-Teilen und bald darauf als Buch erschien, löste eine der heftigsten Kontroversen der Nachkriegszeit aus – einen Streit, der nicht nur Arendts weiteres Leben und Werk als Philosophin beeinflusste, sondern auch den politischen wie historischen Blick auf den Nationalsozialismus. Bis heute ist die „Eichmann-Kontroverse“ nicht abgeklungen. Margarethe von Trotta stellt den Jerusalem-Besuch und den Beginn der Kontroverse ins Zentrum ihres Films, eines seltenen Versuchs, Intellektuelle und Denkprozesse zum Thema eines Kinofilms zu machen.
„Hannah Arendt“ setzt im Jahr 1960 ein, mit seiner einzigen „Action-Szene“, die die Entführung Eichmanns aus Argentinien durch den israelischen Geheimdienst zeigt. Eichmann, ehemaliges SS-Mitglied und überzeugter Nationalsozialist, gehörte als Leiter des „RSHA-Referat IV“ zu den zentralen Organisatoren der systematisch-industriellen Ermordung der europäischen Juden in deutschen Vernichtungslagern. Nachdem Eichmann in Israel wegen zahlloser „Verbrechen gegen die Menschheit“ angeklagt wurde, bemühte sich die Totalitarismusforscherin Arendt aktiv um den Auftrag zur Berichterstattung. Im Folgenden ist Trottas Film eine Gratwanderung zwischen Doku-Fiction und freierer Meditation, die mit den Mitteln des Spielfilms intellektuellen Vorgängen ästhetische Gestalt zu geben versucht und zentrale philosophische Fragen wie Schuld und Verantwortung, das Engagement eines Denkers in der Öffentlichkeit und die Natur des Bösen ins Zentrum rückt.
Die zentrale Herausforderung der Inszenierung bestand darin, mit den Mitteln eines Spielfilms Ideen, Thesen und das Denken selbst auf die Leinwand zu bringen. Über weite Strecken funktioniert dies hier gut, ohne dass Arendts Standpunkte banalisiert würden. Trotta verzichtet auf die sich anbietende Off-Tonspur, die das Denken direkt zur Sprache bringen könnte, und bedient sich dafür anderer Kunstgriffe: Sie zeigt Arendt bei Vorträgen und vor Studenten im Seminar, lässt sie kurze Textpassagen lesen oder mit Freunden debattieren. Dies wirkt nie (zu) trocken und akademisch, ist abwechslungsreich und im Rahmen des Möglichen dynamisch erzählt. Besonders gelungen ist dabei die Schilderung des New Yorker Milieus der deutsch-jüdischen Emigranten um 1961. Auch 15 Jahre nach Kriegsende sind diese Menschen immer noch überaus stark in der deutschen Kultur vor 1933 verhaftet. Es wird deutsch gegessen, deutsch gesprochen, und auch die Debatten und der Stil des Streitens erscheinen den wenigen Nichtdeutschen wie Arendts enger Freundin, der Schriftstellerin Mary McCarthy, derart fremd, dass sie sich als Außenseiter fühlen.
Unvermeidlich driftet der Film mitunter ins Anekdotische ab, etwa in den wenigen Rückblicken, in denen Hannah Arendt am Schreibtisch sinnend an ihre Begegnungen mit Martin Heidegger zurückdenkt, ihren philosophischen Lehrer, mit dem sie zeitweilig eine Liebesbeziehung verband, der nach 1933 aber sich und sein Denken unrettbar kompromittierte, indem er offen Partei für das NS-Regime ergriff und sich öffentlich an der antisemitischen Hetze beteiligte. Gerade diese Momente lassen die Hauptfigur schwächer als nötig erscheinen, bringen sie Arendt doch in die längst überwundene Position einer Schülerin, die innerlich immer noch dem bewunderten Meisterdenker lauscht – obwohl die reale Hannah Arendt mit Heidegger auch philosophisch längst gebrochen hatte. Ansonsten hält sich der Film eng an die Tatsachen. Der Eichmann-Prozess wird durch dokumentarische Aufnahmen illustriert. Die Bedeutung bestimmter Zeugenaussagen oder der umstrittenen Rolle der Judenräte dürfte sich dem uninformierten Betrachter freilich nur schwer erschließen. Klar wird, warum Eichmann Hannah Arendt als exemplarischer Täter erschien, als „Nobody“, dessen Statements sie zu schallendem Gelächter provozierten. Es ist heute „in“, Arendt Irrtümer im Einzelnen nachzuweisen und dadurch ihr nie unumstrittenes Buch zu diskreditieren, ohne ihr aufs Ganze zielendes philosophisches Argument zu würdigen. Dieses wird bei Trotta sehr wohl deutlich: Das Böse sei keine Charakterschwäche, sondern ein soziales Verhalten. Weit unklarer bleibt die berühmte Formel von der „Banalität des Bösen“ – weil das englische „banality“ keineswegs „Nichtigkeit“ meint, sondern „Allgemeingültigkeit“. Arendts Gedanke ist eine Radikalisierung, nicht die Abschwächung von Eichmanns Schuld, wie es fälschlicherweise verstanden wurde. Zu wenig Raum wird insgesamt den Gegenargumenten gegeben. Vielleicht ist es von einem Spielfilm zu viel verlangt, alle Seiten fair darzustellen, doch schlägt sich „Hannah Arendt“ ganz auf die Seite seiner Heldin. So fällt nicht nur unter den Tisch, wie orchestriert die Kampagne gegen Arendt lief, sondern auch, dass sie sehr wohl substanziell begründet war. Stattdessen erlebt man das private Drama einer Frau in der Männerwelt und einer Außenseiterin, die einmal mehr von manchen Freunden im Stich gelassen wird.
In der Hauptrolle erscheint Barbara Sukowa auch auf den zweiten Blick nicht als Idealbesetzung: Zu asketisch, spröde und ätherisch-unkörperlich ist ihr Darstellungsstil. Um als Hannah Arendt zu überzeugen, entschied man sich daher für die Betonung bestimmter Äußerlichkeiten: Immerzu sieht man sie rauchen, und Arendts deutscher Akzent im Englischen wird sehr stark betont; beides mag den Tatsachen entsprechen, entfaltet in Barbara Sukowas Spiel aber die Wirkung eines Manierismus. Die emotionale Mitte des Films ist Axel Milberg als Arendts Ehemann Heinrich Blücher. Nicht immer klar ist zudem Trottas Erzählhaltung. Meist bleibt sie ihrer Hauptfigur eng auf der Spur und erschließt Vorgänge mit deren Augen. Dies führt oft zu starken Momenten, etwa jener Szene, in der Arendts Bruch mit ihrem langjährigen Freund Hans Jonas vollzogen wird. Doch in einigen Szenen fehlt Arendt, ohne dass die Gründe dieser Entscheidung immer schlüssig wären.
So sehr „Hannah Arendt“ überzeugt und als spannendes, persönliches wie geistiges Drama sehenswert ist, bleibt doch die Einschränkung, dass Trottas Film eine Tendenz zum Illustrativen hat und sich der Form eines Fernsehdramas annähert: Szene folgt auf Szene, insgesamt aber ist der Film zu wenig filmisch – er „atmet“ kaum und scheut offene Subjektivität. Sie schätze besonders Arendts Formel von der Philosophie als „Denken ohne Geländer“, hat Margarethe von Trotta erklärt. Etwas mehr Filmen ohne Geländer hätte man sich auch von ihr gewünscht.
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