Es ist eine wichtige Entscheidung in den ersten neun Monaten im Leben eines Embryos und seiner Eltern, für manche die wichtigste: Ein Vorname muss her! Man macht Listen, verwirft und favorisiert, man erwägt literarische Vorbilder und wehrt sich gegen die Namen unsympathischer Zeitgenossen. Schließlich ist der Vorname zeitlebens nicht mehr abzuschütteln, er kann zukünftige Bahnen bestimmen oder einen aus der Kurve werfen. So ungefähr dürfte das veranstaltete Brimborium in den Köpfen von Eltern, Freunden und Verwandten klingeln. „Der Gott des Gemetzels“ ist dabei sicherlich kein adäquater Vorname. Mit seiner Verfilmung
(fd 40 757) des Theaterstücks der Französin Yasmina Reza entwarf Roman Polanski aber ein dem Film „Der Vorname“ sehr ähnliches Szenarium: Da gerieten sich vier New Yorker Eheleute über ein Kind in die Wolle, rissen genüsslich Wunden auf und entblößten neben ihrem eigenen Charakter auch noch den ihres Partners.
Das zum Horrormahl mutierende Familientreffen in „Der Vorname“ basiert nicht auf des Sprösslings Zuschlagen mit einem Stock und zwei verlorenen Schneidezähnen, vielmehr auf einem Namen, der bei allen die Assoziation an einen anderen Gott des Gemetzels wachruft: „Adolphe“ will der neureiche Immobilienmakler und „Familien-Kobold“ Vincent seinen noch ungeborenen Sohn nennen. Es ist der beabsichtigte Affront nach dem lustigen Namensraten in privater Runde, ein Kitzeln seiner liberal intellektuellen Gastgeber, Vincents Schwester Élisabeth und deren Mann Pierre, sie Lehrerin, er Literatur-Professor. Vincent hat einen Witz gemacht, und der schlägt ein wie ein Blitz. Henri soll der Sohn heißen, eine Hommage an Vincents und Élisabeths Eltern. Der piekfeine Familienfreund und Orchester-Posaunist Claude ist (noch) der amüsierte Beobachter, die tragende Mutter Anna kommt zu spät – und das in einen Hexenkessel, der schon am Dampfen ist. Bald nach der Enthüllung wird der Name Adolf (mittlerweile mit „f“ statt „phe“) längst nicht mehr Thema unter den engsten Freunden sein, die sich all ihre streng gehüteten Ressentiments und Geheimnisse lustvoll unter die Nase reiben. Geiz, Aufopferung, Egoismen und Verklemmungen jeglicher Art; jeder hat sein Kreuz zu tragen, gehauen wird dieses aber lieber über den Kopf des Anderen. Es ist ein köstliches Kammerspiel, dass Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière in diesem Wohnzimmer des verbalen Schreckens ausbreiten. Wie bei Polanski handelt es sich um die Verfilmung des vier Jahre später entstandenen, gleichsam erfolgreichen Bühnenstücks der beiden Regisseure; und wie dort ballt sich die hässliche Fratze der Wahrheit nahezu ausschließlich in einem chic eingerichteten Raum zusammen, der vor Anspannung ebenso wie seine Insassen fast zu zittern scheint. Man könnte „Kopie“ schreien, aber das würde der charmanten und eigenwilligen Neukonstellation dieses familiären Quintetts, das sich hier wesentlich sprachgewandter die Hölle vorheizt, nicht gerecht werden. Was man zu sehen und zu hören bekommt, sind die Klischees, die jeder einzelne von sich selbst sofort abstreiten würde, und die ihm doch an der Nasenspitze anzusehen sind. Das entlarvt sich beim Lehrer-Professoren-Ehepaar an der mokierten Vorstellung, dass ihr Neffe mit dem Namen Adolf gegeißelt sein soll. Der Gegenschlag des schwangeren Wohlstandpaars folgt baldigst mit der hämischen Frage, wie man seine Kinder nur Appolin und Myrtille nennen könne. Bald werden Kindheitsgeschichten hervorgekramt, als ob man noch wie damals im Dreck wühlen würde. Es entpuppt sich das, was schon lange vor sich hin schwelte, und dementsprechend ist der Inhalt eruptiv wie ein Vulkan. Polanskis Verfilmung wirkt im Vergleich zu dieser später entstandenen Variante, diesmal tatsächlich in Paris, fast schon wie ein Stillleben. Etwas vergnüglicher wird es vor allem aus weiblicher Sicht auch deshalb, weil hier auch mal die Männer die Hysteriker abgeben dürfen.