Unter Männern - Schwul in der DDR

Dokumentarfilm | Deutschland 2012 | 94 Minuten

Regie: Markus Stein

Sechs Männer berichten über ihr homosexuelles Leben in der DDR. Der Dokumentarfilm erhebt nicht den Anspruch, ein allgemeingültiges Bild zu zeichnen; ebenso verzichtet er auf gesellschaftspolitische Hintergrundinformationen. Vielmehr stellt er die sehr unterschiedlichen Erfahrungen seiner Protagonisten nebeneinander, die auf die Frage nach Akzeptanz oder Diskriminierung von Homosexuellen in der DDR subjektive Antworten bieten. Damit eröffnet er einen facettenreichen, von Brüchen geprägten Erfahrungshorizont.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Hoferichter & Jacobs/MDR/Salzgeber & Co.
Regie
Markus Stein · Ringo Rösener
Buch
Ringo Rösener
Kamera
Bernadette Paassen
Musik
Moritz Denis
Schnitt
Martin Menzel · Markus Stein
Länge
94 Minuten
Kinostart
26.04.2012
Fsk
ab 12; f
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Salzgeber (16:9, 1.78:1, DD2.0 dt.)
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Diskussion
Wie lebten Homosexuelle in der DDR? Diese Frage, so liest man im Presseheft zu „Unter Männern – Schwul in der DDR“, bewegte Ringo Rösener, der sechs Jahre alt war, als die Mauer fiel, dazu, ein Drehbuch zu schreiben und gemeinsam mit Regisseur Markus Stein einen Dokumentarfilm zu drehen. Eine abschließende Antwort bleibt ihr Film allerdings schuldig. Anstatt eine Bilanz „des“ schwulen Lebens in „der“ DDR zu ziehen, liefert er subjektive Einblicke in sechs sehr unterschiedliche Lebensgeschichten. So entsteht ein Kaleidoskop individueller Erfahrungen und Erlebnisse, das mit seinen Brüchen und Widersprüchen den vielfältigen Lebenswirklichkeiten schwuler Männer in der DDR vermutlich eher gerecht wird als apodiktische Urteile, etwa von der Filmbewertungsstelle in der Begründung für das Prädikat „Besonders wertvoll“. Gleich in den ersten Sätzen heißt es dort: „Wer anders ist als die Norm, hat es schwer. In jeder Gesellschaft. Doch in einem Land wie der ehemaligen DDR, wo der Staat die Norm diktiert, ist es noch viel schwerer.“ Schon aus abstrakter historischer Perspektive ist dieser letzte Satz falsch. Während in der DDR Sex zwischen Männern ab Ende der 1950er-Jahre praktisch straffrei blieb, ging die Anzahl der Verurteilungen auf Basis des berüchtigten § 175 in der Bundesrepublik Deutschland erst ab Mitte der 1960er-Jahre allmählich zurück. Danach wandelte sich das Bild: Eine öffentliche Schwulen- und Lesbenbewegung, die mit der in Westdeutschland vergleichbar gewesen wäre, gab es in der DDR nicht. Hier stimmt, was die FBW schreibt: Wer sich politisch für die Emanzipation Homosexueller einsetzte, galt als „Staatsfeind“. Rösener und Stein legen einen solch allgemeinen historischen Maßstab erst gar nicht an. Wichtige geschichtliche Eckdaten und Hintergründe kommen dadurch zu kurz. Trotzdem verschließt der Film keineswegs die Augen vor politischen Realitäten. Einer der Gesprächspartner ist Eduard Stapels, der als bekennender Schwuler nicht Pastor werden durfte, aber in der evangelischen Kirche dennoch einen Ort fand, von dem aus er als Angestellter für Schwulenarbeit aktiv werden konnte. Er gründete ein landesweites Netz homosexueller Gruppen, die sich für Gleichberechtigung einsetzten und so in den Fokus der Staatssicherheit gerieten. Vier „Romeos“ wurden auf Stapels angesetzt, die ihn verführen und diskreditieren sollten. Sein Lebenspartner wurde gedrängt, sich von ihm zu trennen. Das, was die andern fünf Männer zu erzählen haben, klingt nicht ganz so spektakulär, auch nicht so geschichtsbuchträchtig. Rösener und Stein nehmen es aber deswegen nicht weniger ernst. Es macht für sie keinen Unterschied, ob Stapels in den Akten blättert, die von der Stasi ordnerweise angelegt wurden, oder ob sich Jürgen Wittdorf, der nach dem Krieg die Trommeln der HJ für die FDJ umlackieren musste, alte Aktzeichnungen anschaut. Jede Lebensgeschichte, jede persönliche Wahrheit, so die unausgesprochene Prämisse des Dokumentarfilms, ist gleich viel wert. Deshalb stellt sich darin auch nicht die Frage, wer Recht hat: Helwin Leuschner, der als Jugendlicher in Chile seine Homosexualität verleugnete, weil er um seine Leben fürchtete, und die DDR als „Schwulenparadies“ preist? Oder der ehemalige Lehrer Christian Schulz, der von einer quälenden Enge und Diskriminierungen berichtet, die ihn zu einem Arzt trieben, der ihm – vergeblich – „Heilung“ versprach? Statt nach „richtig“ oder „falsch“ zu urteilen, bringen die Filmemacher die beiden Freunde lieber zusammen, lassen sie sich gemeinsam erinnern, bestätigen oder relativieren und in ihren widersprüchlichen Ansprüchen, Wahrnehmungen und Verhaltensmustern respektieren. Auch wenn eine solche Begegnung zwischen den Protagonisten vor laufender Kamera ein Einzelfall bleibt, gelingt es der Montage dennoch, die in unaufgeregter Fernsehoptik gefilmten Einzelporträts, auch des schrillen Berliner Friseurs Frank Schäfer oder des heimatverbunden Kleinstädters John Zinner, zu einem lebendig-schillernden Mosaik zusammenzufügen und damit aufzuzeigen, dass auch in der DDR letztlich jeder Schwule auf seine eigene Weise anders als die Anderen war.
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