The Man of a Thousand Songs

Musikfilm | Kanada 2010 | 94 Minuten

Regie: William D. MacGillivray

Dokumentarfilm über den kanadischen Sänger und Songwriter Ron Hynes (geb. 1950), in dessen autobiografischen Liedern sich die Erfahrungen eines Musikers verdichten, der in seinem Leben viele Fehler gemacht und schwere Krisen durchlitten hat. Die außergewöhnliche Musikdokumentation spürt dem Wechselverhältnis von Biografie und Musik nach, wobei sie von nostalgischen Ausflügen ins Ton- und Filmarchiv wohltuenden Abstand hält. Der Privatmensch Hynes bleibt gleichwohl hinter seiner Künstlerpersona verborgen. (O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
RON HYNES: THE MAN OF A THOUSAND SONGS
Produktionsland
Kanada
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
Picture Plant/Get Set Films
Regie
William D. MacGillivray
Buch
William D. MacGillivray
Kamera
Kent Nason
Musik
Ron Hynes
Schnitt
Andrew MacCormack
Länge
94 Minuten
Kinostart
22.03.2012
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Musikfilm | Dokumentarfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
In einer der schönsten Episoden dieses Films berichtet der Sänger und Songwriter Ron Hynes davon, wie er einst in wenigen Minuten seinen Klassiker „Sonny’s Dream“ komponierte, der ihm so perfekt erschien, dass er sich unwillkürlich fragte, wen er da wohl unbewusst plagiiert habe. Ähnlich, so Hynes, muss es wohl auch Paul McCartney gegangen sein, als ihm einst „Yesterday“ gelang. Das ist eine interessante Frage: Wie schafft man es, als Pop-Musiker mit tausenden Songs anderer Interpreten im Kopf ein Original zu schreiben? Doch wer ist eigentlich Ron Hynes, der hier als eine Mischung aus Bob Dylan und Gordon Lightfood gehandelt wird? Als Hynes 1972 das Album „Discovery“ aufnahm, war es die erste LP eines Musikers aus Neufundland, die ausschließlich Originalmaterial enthielt. Später spielte Hynes in der populären Wonderful Grand Band und gilt heute als einer der wichtigsten Singer/Songwriter Kanadas. Allerdings ist Hynes kein Künstler, dem die Kunst leicht von der Hand ging; vielmehr verzehrte sich der Musiker auf der Suche nach dem perfekten Lied, weil er eigene Erfahrungen als Ausgangspunkt wählte. Hynes ist nur bedingt ein Geschichtenerzähler; seine Kunst ist viel mehr streng autobiografisch. So wird schon zu Beginn der ungewöhnlich intimen Dokumentation von William D. MacGillivray deutlich, dass eine Musikdokumentation immer mit zwei Protagonisten rechnen muss: dem Künstler als Privatmenschen und dem Künstler als der Kunstfigur, die gerne im Rampenlicht steht. Im Falle von Hynes kommt noch ein dritter Protagonist hinzu: seine dunkle Seite. In Kanada ist diese Seite seiner Persönlichkeit, die Ende der 1990er-Jahre das Heft des Handelns in die Hand nahm, offenbar legendär. Hynes’ Konzerte reizten in Krisenzeiten mit Ausbrüchen einer hypersensiblen Hybris, die gerne in Publikumsbeschimpfungen mündeten. Lange hält sich der Film mit konkreten Informationen zurück; erst im letzten Drittel geht es konkret um seine Drogensucht und die Krankheit, die beinahe sein Leben kostete und ihn privat wohl auch vereinsamen ließ. Heute scheint Hynes seine Sucht unter Kontrolle zu haben, wenngleich er weiß, dass die andere, destruktive Seite weiterhin Teil seiner Persönlichkeit ist. Wie Ron Hynes, der Privatmensch, darüber denkt, bleibt offen, weil sich der Film vergeblich darum müht, zu diesem Privatmenschen durchzudringen, von dem selbst sein Neffe nicht so recht weiß, ob er ihn überhaupt kennt. Im Gegensatz zu konventionellen Musikdokumentationen hält sich der Film mit nostalgischen Ausflügen ins Archiv angenehm zurück; stattdessen konzentriert er sich ganz auf den Künstler, sein Leben und die Spuren, die dieses Leben in seiner Kunst hinterlassen hat. Was ungemein packend ist, weil es der coole Sprücheklopfer Hynes liebt, auf Fragen gerne mit einzelnen Zeilen seiner Songs zu antworten, was die Beziehungen zwischen Künstler und Kunstfigur noch enger macht. Am Ende steht dann das vielleicht klischeehafte Porträt eines Künstlers, der in seinem Leben viele Fehler gemacht und viele Krisen durchlitten hat, dafür aber dankbar ist, weil ihm erst diese Erfahrungen es ermöglicht haben, jene Songs mit Tiefgang zu schreiben, für die er verehrt wird. Es ist freilich ein Klischee, dass in Hynes’ Genre alles bare Münze ist. Man braucht nur an Johnny Cash und all die anderen Schmerzensmänner des Country-Folk zu denken. Wie hoch der Preis ist, den Hynes zu zahlen bereit war, wird bei den Begegnungen mit seinem Neffen deutlich (der als zweite Stimme des Films ausführlich zu Wort kommt), die so oberflächlich ausfallen, dass man die Verletzungen der Vergangenheit mit Händen greifen kann. Nach dieser außergewöhnlichen Musikdokumentation hört man Ron Hynes’ Lieder mit anderen Ohren.
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