Sie sind zu dick, zu alt oder durch eine Sehnenentzündung außer Gefecht gesetzt. Wenn für einen Spieler die Zeit abgelaufen ist, ohne dass er je zeigen konnte, was er wirklich kann, dann ist das in jedem Mannschaftssport ein Drama. Und dieses Drama eines zwangsläufigen Abstiegs wird sich der Aufkäufer eines millionenschweren Vereins sicher nicht ins eigene Haus holen – weder beim Fußball hierzulande noch beim finanziell ebenso schwergewichtigen Baseball in den USA. 2002 wagte es der Manager der Oakland Athletics dennoch, sich vom bescheidenen Budget seines Vereins die abgeschriebenen Spieler der Liga zu kaufen, sie einen Rekord brechen zu lassen und das komplette System auf den Kopf zu stellen.
Billy Beane heißt dieser Mann, und „Moneyball“ ist seine wahre Geschichte nach dem Roman von Michael Lewis („The Blind Side“). Es ist der Stoff für die klassische Underdog-Story über eine Gruppe unterschätzter Menschen, die durch Teamgeist und ungeahnte Talente plötzlich wie ein mehrköpfiger Phoenix aus der Asche steigen. In Amerika wird dieses bewährte Sportfilm-Muster immer wieder gerne am Beispiel des Baseball erzählt, jenes Spiels, in dem ein Ball am besten über die Banden in den Zuschauerraum geschlagen werden muss, um dem Team einen Home-Run zu bescheren. Es ist ein Mannschaftssport in Riesenstadions, mit Geringverdienern auf den Rängen und teuren Ballkünstlern auf dem Rasen. „Die Bären sind los“
(fd 20 094) oder „Eine Klasse für sich“
(fd 29 924) haben das Genre geprägt, in der sich ein selbst vom Schicksal gebeutelter Trainer mit seinen Schützlingen auf das Feld begibt, auf dem Fan- und Sportlerträume gelebt werden.
Billy Beane ist abergläubisch. Er begibt sich nicht mehr zu den Spielen seiner Mannschaft, das Träumen hat er ohnehin aufgegeben. Er selbst ist einer dieser Spieler, deren Talent in der Jugend so viel versprach, die sich dann jedoch für ihre Investoren und vor allem für sich selbst nicht rechnen sollten. Brad Pitt, der ehemals schönste aller schauspielernden Jungspunds, spielt diesen alternden Jungstar. Billys Falten sind nicht mehr zu übersehen, den zusammengekniffenen Mund umspielt etwas Bitteres. Vielleicht liegt es auch an der Scheidung von einer Exfrau und einer Tochter, die jetzt mit neuem Mann in einem schmucken Bungalow mit Panoramafenstern leben. Billy hat in seinen eigenen Augen versagt, beruflich und privat. Sein neuer Partner Peter Brand hingegen sieht so aus, als ob ihm das noch bevorstehen würde. Als Harvard-Student der Wirtschaft sitzt der übergewichtige junge Mann bei der Konkurrenz wie ein Ausschussprodukt in einer der Plastik-Boxen, die amerikanische Großraumbüros durchziehen, und erzählt Billy etwas von Statistiken statt von Elite-Spielern. Es ist eine mathematische Taktik, die allein die erreichten Bases zählt und die mit dem Herz fürs Spiel nur insofern was zu tun haben scheint, als dass dieses besonders stark in Billys und Peters Brust schlägt. Billys günstige Neueinkäufe sind die Restposten der gesamten Liga, und gerade die sollen die aufstrebenden, unverbrauchten Spieler ersetzen, die er entdeckt und gefördert und die ihm die großen Vereine dann mit ihren 130-Millionen-Dollar-Budgets abgeluchst haben. Wie der Leiter eines Maststalls für die Großen kommt sich Billy vor, und da hat er nicht ganz Unrecht: Längst bestimmen gnadenlose kapitalistische Markt-Mechanismen seinen Sport. Die Häme in den Medien ist groß, als Billys Plan dank des seine eigene Haut rettenden Trainers zunächst nicht aufgeht. Der Fall nach dem ständigen Abrutschen ist tief, umso steiler und schöner ist dann natürlich der zu erwartende Aufstieg.
Aber „Moneyball“ ist nur vordergründig die mit Brad Pitt und Philip Seymour Hoffman hochkarätig besetzte, in Hochglanz-Sportbilder gefasste Geschichte einer Gruppe von Ab- und Aufsteigern. Unter Bennett Millers schauträchtiger und emotionsgeladener Regie („Capote“, fd 37 492) geht es neben all der Spannung des Sportfilms um Menschen, die so viel in sich schlummern haben und es aus verschiedenen Gründen nie oder nicht mehr zeigen können. Underdogs ohne Selbstbewusstsein eben, die man längst abgeschrieben hat und die dann doch den Triumph ihres Lebens feiern dürfen. Das sind uramerikanische Träume vom Ballträger zum Sport-Star, die hier hintergründig und weise erzählt werden – Wünsche der Unkorrumpierbarkeit und der Solidarität inklusive. Schön sieht das aus, und schön hört sich das an, wenn Billy am Ende gerührt der aufgenommenen Kassette seiner zwölfjährigen Tochter lauscht. Keine große Stimme, dafür aber ein großes Herz tönt da aus dem Autoradio. Die Tochter singt von der Angst und davon, dass ihr Dad ohnehin ein Loser sei und er das doch einfach genießen soll. Darum geht es letztendlich: um den Spaß am Spiel und um die kleine Weisheit, dass Verlieren nicht das Ende, sondern nur das Risiko ist, das man dem Spielspaß als Tribut zollen muss. Wer es nicht versucht, der kann nicht gewinnen, und das gilt für den Baseball wie fürs Leben.