An der jungen Frau fallen als erstes das zarte Gesicht und ihr schmaler Körper auf. Im Widerspruch dazu irritiert ihr stierer Blick, das teilweise zur Stoppelfrisur gekürzte Haar und die offensiv zur Schau getragenen Tattoos mit altdeutschen Frakturlettern. Gleich zu Beginn sieht man, wie sie hochgehen kann, spuckt, schreit, tritt und schlägt. Wer zu lange Haare oder zu dunkle Haut hat oder sie auch nur zu lange anguckt, der hat schlechte Karten. Marisa (von Alina Levshin in einem atemberaubend souveränen Auftritt nuancenreich gespielt) ist eine Neo-Nazibraut aus einem Küstenkaff in Mecklenburg. Ihre Freunde sind Skinheads. Wenn sie nicht gerade Ausländer und Linke drangsaliert, sitzt sie im Supermarkt ihrer Mutter an der Kasse. Gleich nach der Prügelszene erfährt man, wo sie herkommt. Man sieht sie als Kind mit ihrem Opa am Strand. Sie schleppt einen Rucksack voller Sand, während der Großvater sie anfeuert: „Zähne zusammenbeißen. Ein Indianer kennt keinen Schmerz. Meine Kriegerin.“ Die Zähne beißt sie immer zusammen, auch heute noch. Das „Gelobt sei, was hart macht“ und die klaren Ordnungsmuster aus Befehl und Gehorsam sind eine der wenigen Weisheiten, die in dieser nicht nur von Gott verlassenen Welt noch tragen.
„Kriegerin“, das Debüt von David Falko Wnendt, hat durch die Aufdeckung der rechtsextremen Zwickauer Terrorzelle eine beklemmende Aktualität erhalten. Wnendt hat sich in den Neonazi-Komplex, insbesondere in das Thema weibliche Neonazis, gut eingearbeitet, um seinen Stoff so authentisch wie möglich zu gestalten. Am Beispiel der Hauptfigur sowie eines zweiten Mädchens, Svenja, die aus „besseren“, aber genauso kaputten Kreisen stammt, skizziert der Regisseur so etwas wie Grundlinien einer Sozialpsychologie des Neonazismus. Es ist keine geschlossene Darstellung, eher sind es Schneisen im Gestrüpp und viele Impressionen. Man hat den Eindruck, dass Jugendlichen in manchen Gegenden Ostdeutschlands gar nichts anderes übrig bleibt, als Neonazi zu werden, wenn sie kein Außenseiter sein möchten; man sieht, wie bei den Mädchen Schwäche in Aggression umgemünzt wird, Neid auf vermeintlich „heile“ Verhältnisse in Hass auf sie. Auch der sexuelle Subtext des Faschismus, die Verknüpfung von Sex und Gewalt, wird zumindest angedeutet. Man hört Nazi-Rocksongs mit Titeln wie „Holocaust reloaded“ und demagogische Argumentationen wie: „In einer Demokratie kann jeder mitbestimmen: Du, ich, Neger, Kinderschänder, Leute, die zu blöd sind, die Hauptschule zu schaffen.“
Man könnte dem Film vorwerfen, dass er sich manchmal etwas zu sehr die Binnensicht seiner Figuren, ihren Blick auf die Welt zu Eigen macht, dass er der ästhetischen Faszination für seinen Gegenstand erliegt. Aber wie könnte man von politischer Verführung anders erzählen als verführerisch? „Kriegerin“ ist am stärksten in dieser Schilderung des Milieus, eines braunen Rands, der Schnittmengen bis zur Mitte aufweist und zugleich ein echter Sumpf ist, eine Subkultur der Unterschichten und Verlierer. Der Film zeigt Menschen, die ein spießiges Kleinbürgerdasein führen, Ordnung, Anstand und Sicherheit verklären und zugleich allen, die anders denken, Chaos, Brutalität und Angst bringen. Umso aufgesetzter wirkt die radikale Wandlung Marisas, die im letzten Drittel dieses Milieu hinter sich lässt und von einer fanatischen Gewalt-Zicke zur mutig-sensiblen Humanistin mutiert. Problematisch wird der Film auch, wenn jener Bereich berührt wird, der in den Drehbuchschulen „Motivation“ genannt wird. Diese muss in deutschen Filmen offenbar unbedingt persönlich sein, jedenfalls bei den Protagonisten. Politik, Moral oder gar Ästhetik sind anscheinend nie zureichende Gründe für die Handlung von Menschen. Deutsche Filme sind deshalb im Kern immer wieder Melodramen; Ausnahmen bestätigen die Regel, der auch „Kriegerin“ entspricht. So wird, was als soziologisch fundierter Film beginnt, ohne Not emotionalisiert und psychologisiert: Marisa hat Ärger mit der Mutter, Svenja mit dem Vater; offenbar wird man ohne missratene Eltern nicht zum Neonazi. Ein anderer Vater ist Marxist, ein Dritter Sadist; den Gedanken – dass auch Kinder „normaler“ Eltern sich dem Extremismus zuwenden können, lässt der Film nicht zu, das wäre wohl zu beunruhigend. Auch Marisas vergötterter Großvater ist vor allem „Motivationsträger“. Wie ein Universitätsprofessor analysiert er sich selbst, dass er in seinem „Leben so viel Schlimmes gemacht (hat), das reicht für viere“. Weil er ein schlimmer Nazi war, der Marisa schon als Kind durch körperlichen Wehrsport zur „Kriegerin“ stählte und ihr einimpfte, sie solle nicht alles glauben, was über die Nazi-Zeit erzählt wird, hatte das Mädchen offenbar keine Wahl. Es ist schließlich der Tod des Großvaters, der Marias Wandlung motiviert. An einer übermäßigen Psychologisierung kranken viele deutsche Drehbücher; bei „Kriegerin“ drängt sich der Verdacht auf, dass der Regisseur oder die Fernsehredaktion der eigenen Courage nicht traute, eine dauerhaft nicht sympathisch agierende Protagonistin ins Zentrum zu stellen. Von solchen Kurzschlüssen und Mängeln abgesehen, ist Wnendt ein technisch sehr guter, interessanter Film geglückt – eine ungewöhnliche Fallstudie, bis zum Schluss spannend erzählt.