„Es war einmal einer, und es war einmal keiner“, so fangen persische Geschichten gerne an, wie der Erzähler über den Blicken auf ein paar Schuhe verrät, die auf dem Asphalt klackern. „Huhn mit Pflaumen“ ist ebenfalls eine Geschichte über einen, der einmal war. Einer, der liebte, der verlor und der beschloss, im Kreis seiner Liebsten zu sterben. Huhn mit Pflaumen war Nasser Ali Khans Leibgericht; es kann den weltberühmten Geiger aber auch nicht mehr davon abhalten, seinen Leib dem Tod preiszugeben. Nasser will die Welt und seine Familie verlassen; dabei wird er von seiner Frau geliebt, die eine harte Miene aufsetzt, um seine ständigen Verletzungen nicht an sich heranzulassen. Er wird von seinen Kindern geliebt, von denen ihm das Mädchen so ähnlich und der Junge ganz unähnlich ist. Doch Nasser liebt nicht zurück, sein Herz ist von jemandem besetzt, den er selbst nicht besitzen kann. Es ist die Tragik menschlicher Beziehungen, des Begehrens von etwas, was man nicht haben kann, das „Huhn mit Pflaumen“ in surrealistisch schönen Bildern einer episodenhaften Lebensgeschichte zelebriert und diese mit reichlich Melancholie überzieht.
Nasser, der große Musiker und Melancholiker, beschließt zu sterben, als er merkt, dass es für die von seiner Frau zerstörte Violine keinen Ersatz gibt. Der Film folgt seinen letzten acht Tagen, unterbrochen von absurd humorvollen Blicken in die Vergangenheit und in die Zukunft. Die Bilder, die die Illustratorin und Regisseurin Marjane Satrapi dabei aus ihrer eigenen Graphic Novel auf die Leinwand übersetzt, haben fast schon einen vorweggenommenen außerweltlichen Touch. Nach „Persepolis“
(fd 38 452), mit dem Satrapi ihre Kindheit Revue passieren ließ, ist dies ihr zweiter Film. Die große Liebe von Nasser, die ihm das Herz zerbrach, heißt demnach nicht umsonst Iran, wie die Heimat, die Satrapi einst verlassen musste. „Huhn mit Pflaumen“ ist kein durchgängiger Animationsfilm, und doch haucht ihm Satrapi erneut etwas überaus Exotisches ein, was sich nicht im Handlungsort erschöpft, dem recht progressiven Teheran der ausgehenden 1950er-Jahre. Wie eine moderne Fortschreibung von „1001 Nacht“ wirkt die Geschichte, die eine männliche Scheherazade des Todes über das Vor und Danach der letzten acht Tage von Nasser auftischt. Satrapi gestaltet die Rückblicke in Vergangenes wehmütig, die Ausblicke in die Zukunft jedes Familienmitglieds hingegen witzig bis sarkastisch.
So wie sich die Sicht auf das Leben je nach Stimmungslage verändert, so verändert sie sich auch im Film: in Tönen und Bildern, die manchmal so überzeichnet sind, dass sie nur als Koketterie gegenüber ihrem Inhalt interpretiert werden können. Derjenige, der hier sieht und erzählt, ist ein Zyniker, er prophezeit Nassers Tochter die Flucht in Alkohol und Glücksspiel, dem Sohn den amerikanischen (Alb-)Traum. Was kein Wunder ist, denn dieser Erzähler ist nicht der, für den man ihn hält: Er entpuppt sich als der Todesengel Azrael, der das letzte „Abstrampeln“ seines nächsten „Opfers“ mit einer paradoxen Portion aus Ironie und Mitgefühl beobachtet. Er beschreibt Nassers Schmerz über den Verlust der Geige und seinen Versuch, diesen mit dem Tod auszumerzen, auch wenn diese Verzweiflung aus einem anderen, wesentlich existenzielleren Verlust herrührt.
„Huhn mit Pflaumen“ ist so abwechslungsreich und von herber Süße wie das Titelgericht. Hier geht es um große Lieben, allerdings nicht um kulinarische oder musikalische. Es wird nicht von der Musik, sondern über die Musik von Menschen erzählt: Ohne die zerbrochene Liebe zu Iran hätte Nasser nicht den Schmerz in seine Stücke legen können, den er als Geiger auf seinem Weg zum Weltruhm brauchte. Ohne die Musik kann er nicht die Geduld an den Tag legen, die für die alltäglichen Wege seiner unglücklichen Ehe nötig ist; und ohne die zerbrochene Geige als Sinnbild hätte Nasser vielleicht nicht diesen letalen Entschluss fassen können, als er zu Beginn des Films jemandem wiederbegegnet, der ihn nicht zu erkennen scheint. Es ist dieser menschliche Tropfen, der das Fass der Tränen für ihn zum Überlaufen bringt.
Vielleicht geht es Satrapi in der Fremde beim Blick auf die ehemalige Heimat ähnlich. Mathieu Amalric spielte in „Schmetterling und Taucherglocke“
(fd 38 648) einen Mann, der dem Tod geweiht ist und seine Umwelt nur durch die schmale Perspektive seines Leids wahrnehmen kann; hier ist es eine emotionale Barrikade, die den von ihm gespielten Nasser nicht mehr wohlgemut und zuversichtlich durchs Leben schreiten lässt. Beide Filme besitzen ein ähnliches Prinzip. Sie erzählen von einem Leben und einer Sehnsucht durch die Erinnerung im Kopf eines ans Bett gefesselten Todgeweihten. Über ihn beugt man sich wie über seine Liebsten, die sich in der Welt noch frei bewegen können. Das ist mal abstrus komisch, mal tief traurig, lässt einen angesichts des dicken Augenzwinkerns in der Übertreibung aber dennoch schmunzeln.