Ein junger belgischer Bauer, der sich und seine Tiere mit denselben Wachstumshormonen dopt, wird mit einem Kindheitstrauma konfrontiert und gerät ins Visier der Polizei, die gegen die Fleisch-Mafia ermittelt. Schonungsloses, ebenso beunruhigendes wie ästhetisch brillantes Drama, das Bezug auf zwei Skandale nimmt, die Belgien in den 1990er-Jahren erschütterten und verstörten. Konsequent, aber ohne effekthascherische Momente entwirft der Film eine Welt der Düsternis, menschlichen Verdorbenheit und Hoffnungslosigkeit. (O.m.d.U.)
Bullhead
- | Belgien/Niederlande 2011 | 129 Minuten
Regie: Michaël R. Roskam
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Filmdaten
- Originaltitel
- RUNDSKOP
- Produktionsland
- Belgien/Niederlande
- Produktionsjahr
- 2011
- Produktionsfirma
- Savage Film/Eyeworks/Waterland/Artemis
- Regie
- Michaël R. Roskam
- Buch
- Michaël R. Roskam
- Kamera
- Nicolas Karakatsanis
- Musik
- Raf Keunen
- Schnitt
- Alain Dessauvage
- Darsteller
- Matthias Schoenaerts (Jacky Vanmarsenille) · Jeroen Perceval (Diederik Maes) · Jeanne Dandoy (Lucia Schepers) · Barbara Sarafian (Eva Forrestier) · Tibo Vandenborre (Antony De Greef)
- Länge
- 129 Minuten
- Kinostart
- 24.11.2011
- Fsk
- ab 16; f
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Es ist erstaunlich, wie viel menschliche Schlechtigkeit ins beschauliche Belgien passt – jedenfalls, wenn man Michaël R. Roskams ebenso beunruhigendes wie brillantes Drama als Maßstab nimmt. In „Bullhead“ geht es um organisierte Kriminalität, gewalttätige Kinder, den als „Sprachenstreit“ verharmlosten Kleinkrieg zwischen Flamen und Wallonen, halbseidene Polizeimethoden und nicht zuletzt um das flächendeckende Doping von Schlachtvieh mit Frankenstein-Hormonen. Dabei vergeht einem nicht nur der Appetit, sondern auch die Lust, jemals wieder die Grenze nach Belgien zu überqueren. Dass Belgien „Bullhead“ trotzdem offiziell ins „Oscar“-Rennen schickt, ist nur mit Fatalismus, Cinephilie oder einer Mischung aus beidem zu erklären.
Am Anfang liegt graues Zwielicht über einer Waldlandschaft. Ein Sprecher, den man bald als Jacky Vanmarsenille kennen lernt, sinniert darüber, dass man seine schlechten Erinnerungen noch so tief vergraben kann, am Ende kommen sie doch immer wieder hoch: „Und dann ist man gefickt.“ Dabei ist Jacky kein Philosoph, sondern ein bulliger, etwa 30-jähriger Bauer, der sein Vieh mit illegalen Hormonen voll pumpt, andere Züchter handgreiflich auf Linie bringt und dabei Testosteron aus allen Poren schwitzt. Als ein bedeutender Fleischpanscher mit ihm ins Geschäft kommen will, begegnet er bei den Verhandlungen einem Freund aus Kindertagen, und schon bricht sein Trauma erneut auf. Worin dieses besteht, wird einigermaßen früh verraten, hier aber nur so viel: Obwohl Jacky ein stattlicher Bursche ist, fürchtet er die Frauen.
Mit „Bullhead“ greift Roskam, der bislang Kurzfilme drehte, einen belgischen Lebensmittelskandal aus den 1990er-Jahren auf. Zahlreiche Rinderzüchter verabreichten ihren Tieren illegale Wachstumshormone, ein belgischer Veterinär fand durch die Fleisch-Mafia den Tod. Etwa zur selben Zeit wurde auch der Skandal um den belgischen Mörder und Kinderschänder Marc Dutroux ruchbar, der möglicherweise durch Regierungsstellen und Polizei gedeckt wurde. Das Entsetzen und der kollektive Selbstekel, der die Mehrheit der belgischen Bevölkerung in dieser Zeit gegen die eigenen Staatsorgane rebellieren ließ, ist auch in „Bullhead“ zu spüren. Roskam stilisiert Belgien zum schmutzigen Land der Verdammten, wobei auch bei ihm nicht alle Belgier Verbrecher sind; allerdings findet sich auch keine Figur, die man ohne Bedenken als sympathisch bezeichnen würde. So schonungslos sein Blick auf Belgien wirkt, so unerbittlich treibt Roskam seinen Antihelden in die Enge. Nach dem überraschenden Wiedersehen mit seinem Jugendfreund versucht Jacky, sich seinen Dämonen zu stellen, und steigt in einer gespenstischen Szene zu seinem einstigen Peiniger hinab – allerdings ohne daraus Genugtuung ziehen zu können. Gleichzeitig macht die Polizei nach dem Mord an einem der ihren mit den Ermittlungen gegen die Hormon-Mafia ernst. Bald steht auch Jacky unter dauernder Überwachung, sein Freund aus Kindertagen entpuppt sich als Spitzel der Polizei.
„Bullhead“ ist ein verstörender Film, den man nicht so schnell vergisst, gerade weil er auf effekthascherische Momente verzichtet. Er führt geduldig, aber zwangsläufig in eine Welt, in der Gewalt immer neue Gewalt gebiert und der Mensch alles im positiven Sinne Menschliche verliert. Was er seinen Tieren antut, tut er auch sich selbst an. Jacky ist das leibhaftige Symbol dafür.
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