Es ist eine „History of Violence“, die Robert Redford erzählt – doch anders als in Cronenbergs Film (fd 37 284) geht es nicht um die Verstrickung der Individuen in eine Gewalttätigkeit, die wie ein Kainsmal an ihnen haftet, sondern um den Missbrauch staatlicher Gewalt. Für Frederick Aiken ist der Krieg zwar gleich nach der Einführungssequenz vorbei, wenn er nach dem Sieg der Nordstaaten 1865 ins zivile Leben zurückkehrt. Doch der fragile junge Frieden gerät in Gefahr, als bei einer Serie von Attentaten verbitterte Südstaatler wichtige Politiker töten, unter ihnen Präsident Lincoln. Die Öffentlichkeit reagiert geschockt; der Führungsstab will Ruhe schaffen. Den am Attentat Beteiligten soll schnell der Prozess gemacht werden. Das bedeutet ein Militärtribunal, obwohl die Angeklagten Zivilisten sind und ihnen die Verfassung einen regulären Prozess mit Geschworenen garantiert. Aiken, der den Soldatenrock ablegt und in seinen Beruf als Anwalt zurück kehrt, muss deshalb erneut in einen Kampf ziehen: Er übernimmt zunächst widerwillig die Verteidigung von Mary Surratt, der einzigen Frau, die als Mitverschwörerin der Attentäter auf der Anklagebank sitzt.
Im Original heißt der Film „The Conspirator“. Bezieht sich das auf Mary Surratt? Redford und sein Drehbuchautor, die sich an an die historischen Fakten halten, lassen offen, ob die Frau in die Planung der Attentate eingebunden war. Sicher ist nur: Sie war die Mutter eines der Verschwörer, und in ihrer Pension haben die Treffen stattgefunden. Vielleicht meint der Titel „Conspirator“ ja den Verteidigungsminister Edwin Stanton? Kevin Kline zeichnet ihn als kühlen Pragmatiker, der angesichts dessen, was er für politisch notwendig hält, ethische und juristische Regeln aushebelt – eine Praxis, deren Parallelen zum „Krieg gegen den Terror“ nach 9/11 unschwer zu erkennen sind: „Die Lincoln Verschwörung“ ist nicht nur ein historischer Attentats- thriller und ein spannendes Gerichtsdrama, sondern primär ein Film, in dem sich Empörung Luft macht und in dem Redford, einmal mehr der kritische Kommentator des American Way of Life, den Finger auf etwas legt, was er als fundamentales gesellschaftliches Skandalon empfindet.
Kritiker in den USA haben ihm vorgeworfen, dass der Film zu sehr politische Bildung sei und seine Botschaft überdeutlich präsentiere – aber vielleicht muss man ja so deutlich werden? Der Film startete in den USA im April 2011, wenige Wochen, nachdem Präsident Obama entgegen seiner Wahlversprechen eingeknickt war und eine Verfügung über das Beibehalten von Guantánamo unterzeichnet und die Wiederaufnahme der Militärgerichtsverfahren außerhalb des Rechtsstaates ermöglicht hatte. Redfords Inszenierung spekuliert wenig auf Affekte und Effekte, sondern setzt auf Argumentation. Der Ausgang des Verfahrens ist bekannt; Robin Wright baut Mary Surratt nicht zur melodramatischen Opferrolle aus, sondern liefert das Porträt einer abweisenden Frau, die weder Aiken noch die Zuschauer lang Zeit richtig einschätzen können. James McAvoys Figur des jungen Anwalts funktioniert als identifikatorischer Anker und hat neben dem juristischen auch einen persönlichen Konflikt auszufechten; Redford behandelt diese private Ebene jedoch mit Zurückhaltung und schlachtet sie nicht aus. Er buhlt nicht ums schiere Mitleid des Zuschauers, sondern lässt ihn teilhaben an der geistigen Entwicklung, die Aiken angesichts des zweifelhaften Verlaufs des Prozesses zum immer entschiedeneren Fürsprecher nicht nur Surratts, sondern der rechtsstaatlichen Prinzipien seines Landes macht.
Dass der Film trotzdem auch emotional dicht wird, liegt auch an der konsequenten Bildsprache: Gedämpft bleiben das Licht und die Farben; der Himmel ist meist grau oder von nächtlichem Schwarz, Licht fällt nur wie durch einen diffusen Schleier in diese Welt – Aussichten auf ein junges Amerika, die alles andere als strahlend sind. Vor allem aber bewährt sich der Schauspieler-Regisseur Redford einmal mehr in der Arbeit mit seinen Darstellern: James McAvoy gelingt es vorzüglich, die inneren Konflikte seiner Figur an die Oberfläche seines Gesichts dringen zu lassen, und er erfüllt die an die Charaktere eines Gary Cooper erinnernde Figur des Aiken mit vibrierender Energie und entwaffnender Offenheit. Robin Wright bildet dazu mit ihrem in sich gekehrten Spiel ein kongeniales Gegenüber. Flankiert werden sie von einem Ensemble exzellenter Nebendarsteller, unter anderem Tom Wilkinson und Evan Rachel Wood. Ähnlich wie das Ensemble in „Von Löwen und Lämmern“ (fd 38 419), verleihen sie dem politischen Impetus ihres Regisseurs menschliche Tiefe.