„Alles was vom Himmel fällt, ist ein Geschenk Gottes für den Ersten, der es findet.“ Nach diesem Gesetz ihrer Vorfahren handeln die Steppenbewohner rund um das Weltraum-Center im kasachischen Baikonur, wenn nach einem Raketenstart wieder einmal die abgestoßenen Treibstofftanks oder andere Weltraum-Trümmer in der Nähe ihrer Dörfer aufschlagen. Diese dienen dann den Dorfgemeinschaften zum Hausbau oder als Tauschobjekte gegen Bares und Lebensmittel. Als aber eines Tages die französische Weltraum-Touristin Julie außerplanmäßig in der Steppe landet und von dem jungen Hobby-Funker und Astronauten-Fan Iskander in seine Jurte „entführt“ wird, bekommt die ohnehin fantastisch anmutende Geschichte einen märchenhaften Anstrich. Schon immer hatte der filmbesessene Regisseur Veit Helmer einen Hang zu surreal-poetischen Stoffen. In seiner bildgewaltigen Stummfilm-Hommage „Tuvalu“
(fd 34 315) wird ein orientalisches Bad zur Zufluchtsstätte bedrohter Menschen; sein „Tor zum Himmel“
(fd 36 286) öffnete sich für eine multikulturelle Utopie, und die modernisierte „Lysistrata“-Parabel „Absurdistan“
(fd 38 611) verquickt den Sex-Streik türkischer Dorfbewohnerinnen mit einer melancholischen Liebesgeschichte. Nun ist das Niemandsland rund um den hermetisch abgeriegelten, weltgrößten Raketenstartplatz Baikonur Schauplatz einer zwischen Archaik und Hightech angesiedelten Geschichte: Der Waise Iskander, dessen Eltern einst von Weltraumtrümmern erschlagen wurden und dessen Astronauten-Fimmel ihm den Spitznamen „Gagarin“ eingebracht hat, hatte im Fernsehen gebannt den Weltraumflug der schönen Französin verfolgt und sich in sie verliebt. So kommt ihm das Himmelsgeschenk sehr gelegen, zumal er der nach der Bruchlandung unter Gedächtnisverlust leidenden Julie weismachen kann, dass sie seine Verlobte sei. Doch nach der ersten Liebesnacht kommt die Erinnerung zurück, und auch die Suchtrupps der Raketenstation sind im Anmarsch.
Mit Dokumentaraufnahmen erinnert Helmer in der Eingangssequenz an jene Sternstunde der Wissenschaft, als am 12.4.1961 von Baikonur aus Juri Gagarin als erster Mensch ins All geschickt wurde. 50 Jahre später ist daraus ein 20 Mio. teures Hightech-Touristenvergnügen geworden, während die Welt rund um die Abschussrampen herum stehen geblieben scheint. So wirkt das Aufeinandertreffen der rivalisierenden Dorfbewohner mit ihren Pferden, Eseln, Kamelen und klapprigen Treckern auf den Weltraum-Trümmerfeldern wie Szenen aus einem Endzeit-Western. In der technisch hochgerüsteten Raketenstation, wo schon simpler Kamelkot das System zum Absturz bringt, ist dann die Fortschrittsironisierung von Jacques Tatis Komödien nicht weit. Auch in den Jurten hat die „Nouvelle Vague“ Einzug gehalten: Nazira, eine Freundin Iskanders, deren Reiz dieser angesichts seiner Schwärmerei für Julie fast übersieht, ist ein wahres „enfant sauvage“ à la Truffaut, und Iskanders Verhalten erinnert an die versponnen-unentschiedenen (Liebes-)Marotten eines Antoine Doinel. Julies „Prinzessinnen“-Rolle könnte derweil dem surreal-poetischen Märchenfilm „Eselshaut“ von Jacques Demys entsprungen sein. Eher erdverbunden geht es zu, wenn das schon mit drei Frauen verheiratete Dorfoberhaupt versucht, Iskander sein „Fundstück“ abspenstig zu machen: „Vier sind erlaubt – und nichts ist schwieriger, als eine gute Melone oder eine ordentliche Frau zu finden.“ Die allesamt sehr authentisch wirkenden Schauspieler und Laiendarsteller halten den magischen Realismus der Geschichte amüsant am Leben, den auch der Soundtrack unaufdringlich aufgreift. Etwas enttäuscht ist man nur, weil Helmer seinen Kameramann nicht allzu oft in jenen Leinwand-füllenden Tableaus schwelgen lässt, die seine Filme bisher so unverwechselbar machten.