Belgrad Radio Taxi

- | Serbien/Deutschland 2010 | 103 Minuten

Regie: Srdjan Koljevic

Ein grantelnder Taxifahrer erlebt, wie sich eine junge Frau von einer Brücke stürzt. Ratlos macht er sich auf Spurensuche im Umfeld der Lebensmüden. Psychologisch stimmiges Erzählmosaik, das sich aus diversen Lebensgeschichten zwischen Sehnsüchten und unglücklichen Lieben zusammenfügt. Die warmherzige, subtile Mischung aus Mentalitätsstudie und melancholischem Porträt der Stadt Belgrad beschreibt eine Gesellschaft, die im Privaten wie in der Politik mit ihrer Vergangenheit hadert; ironische Anspielungen finden dabei ebenso Platz wie große Schicksalsschläge. - Ab 16.
Zur Filmkritik filmfriend

Filmdaten

Originaltitel
ZENA SA SLOMLJENIM NOSEM
Produktionsland
Serbien/Deutschland
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
Film House Bas Celik/Neue Mediopolis Filmprod./ZDF/ARTE
Regie
Srdjan Koljevic
Buch
Srdjan Koljevic
Kamera
Goran Volarevic
Musik
Mario Schneider
Schnitt
Marko Glušac
Darsteller
Nebojša Glogovac (Gavrilo) · Anica Dobra (Anica) · Branka Katic (Biljana) · Vuk Kostić (Stefan) · Nada Sargin (Jasmina)
Länge
103 Minuten
Kinostart
21.07.2011
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Diskussion
Auf der Brücke, die die Satellitenstadt Neu-Belgrad mit dem historischen Zentrum der serbischen Hauptstadt verbindet, stockt wieder einmal der Verkehr. Zu den Gefangenen des Dauerstaus gehören Gavrilo, der sich mehr schlecht als recht als Taxifahrer durchs Leben schlägt, und sein weiblicher Fahrgast Jasmina. Plötzlich verlässt die verängstigt wirkende junge Frau das Auto, um von der Brücke in die darunter fließende Save zu springen, wobei die Lehrerin Anica und die Apothekerin Biljana Zeuginnen des Zwischenfalls werden. Der grantelnde Gavrilo, der als Bosnien-Flüchtling in Belgrad einsam geblieben ist, steht ratlos vor dem Rücksitz seines Taxis, auf dem Jasmina ihr Baby zurückgelassen hat. Während er sich auf Spurensuche nach dem Umfeld der Lebensmüden begibt, hat das Ereignis für Anica und Biljana kathartische Wirkung: Beiden wird klar, dass sie ihr Leben ändern müssen. Der serbische Regisseur und Drehbuchautor Srdjan Koljevic („Klopka – Die Falle“, fd 38 364) beginnt seinen Film mit einem Paukenschlag, an den sich eine Mentalitätsstudie der serbischen Hauptstadt anschließt. Minutiös und mit psychologischem Feingefühl entwickelt er Charakterstudien seiner Protagonisten, verdichtet deren individuelle Lebenswege und Geschichten nicht erwiderter Liebschaften zu einer Momentaufnahme der Stadt. Koljevic, selbst in Sarajevo geboren, kam als serbischstämmiger Bosnien-Flüchtling nach Belgrad, um dort, wie der Taxifahrer Gavrilo, als Außenseiter am Rand einer zwar urbanen, aber hermetischen Gemeinschaft anzukommen. Inzwischen ist diese Distanz kleiner geworden, aber immer noch groß genug, um „sein“ Belgrad vermutlich genauer abbilden zu können als „echte“ Hauptstädter. So ist „Belgrad Radio Taxi“ mit seinen warmherzigen Untertönen zwar eine Liebeserklärung an Belgrad, rührt aber doch ohne Scheu an den Wunden der Vergangenheit. Gavrilo, Anica, Biljana und die anderen Figuren dieses Mosaiks, so Koljevics Credo, kommen mit den privaten Schicksalsschlägen nicht klar. Auf dem Weg zum inneren Frieden sind sie an einer Blockade angekommen. Hinter dem metaphorischen Dauerstau und dem ständigen Regen, der die Stimmung in facettenreiche Blau- und Grautöne färbt, nagen die Wunden des Krieges, der Verantwortung, der Schuld vielleicht. Koljevic geht es nicht um politische Moral, sein Interesse gilt dem psychologischen Augenblick einer Gesellschaft, über die er sagt, „dass wir alle noch nicht mit der Vergangenheit abgeschlossen haben, dass wir Vergangenes mit uns herumtragen wie einen Ballast, der uns bremst, behindert und lähmt“. Eine Vergangenheit, hinter der jenseits von Mladic & Co. bessere Zeiten aufscheinen. Koljevics Protagonisten gehören zu den Dauerhörern eines kleinen lokalen Radiosenders, der Oldies und Hits aus einer vergangenen, unbeschwerteren Ära im Programm hat; Musik, deren jazziges Moll gegen die Blau- und Grautöne der Gegenwart anspielt und mit verhaltener Melancholie das Prinzip Hoffnung rekonstruiert. So wird das Stadtporträt zur Bestandsaufnahme, die dramatische Themen mit leichter Handschrift inszeniert und in deren warmen Untertönen man sich aufgehoben fühlt. Vor allem ist „Belgrad Radio Taxi“ ein Schauspielerfilm, dessen international renommiertes Ensemble vom einheimischen Star Nebojša Glogovac über Anica Dobra und Branka Katic bis zu Stipe Erceg in einer Nebenrolle in zurückhaltendem Feintuning aufeinander abgestimmt ist. Ein Belgrad-im-Jahre-Null-Film, der zeigt, wie das Thema Liebe zur kollektiven Sehnsucht nach besseren Zeiten wird, ohne altbekannte Depressionsklischees zu strapazieren.
Kommentar verfassen

Kommentieren