Eine Lehrerin, deren dreijährige Tochter durch Ertrinken ums Leben gekommen ist, sucht unter ihren 13- bis 14-jährigen Schülern nach den Verantwortlichen für die Tat, klagt diese an und sorgt dafür, dass die Welt für sie zur Hölle wird. Furios inszenierter Rache-Psychothriller mit surrealen Elementen, der von einer subtil ausgetüftelten Rache handelt. Fernab bekannter Muster von Rache-Thrillern aus Fernost fließt dabei kein Blut, sondern Angstschweiß. Zugleich zeichnet der Film ein Panorama der japanischen Gesellschaft im Miniaturformat und berührt tabuisierte oder ignorierte Themenfelder wie AIDS, Amokläufe und Jugendselbstmorde. (O.m.d.U.; DVD-Titel: "Geständnisse - Confessions")
- Sehenswert.
Geständnisse
Psychothriller | Japan 2010 | 106 Minuten
Regie: Tetsuya Nakashima
Kommentieren
Filmdaten
- Originaltitel
- KOKUHAKU
- Produktionsland
- Japan
- Produktionsjahr
- 2010
- Produktionsfirma
- DesperaDo/Hakuhodo/Licri/Nippon Shuppan Hanbai/Sony Music/Toho Co./Yahoo Japan
- Regie
- Tetsuya Nakashima
- Buch
- Tetsuya Nakashima
- Kamera
- Shoichi Ato · Atsushi Ozawa
- Musik
- Toyohiko Kanahashi
- Schnitt
- Yoshiyuki Koike
- Darsteller
- Takaku Matsu (Yuko Moriguchi) · Yoshino Kimura (Yuko Shimomura) · Masaki Okada (Werther) · Yukito Nishii (Shuya Watanabe) · Kaoru Fujiwara (Naoki Shimomura)
- Länge
- 106 Minuten
- Kinostart
- 28.07.2011
- Fsk
- ab 16; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert.
- Genre
- Psychothriller
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Kurze, zarte Laute eines Kleinkinds eröffnen den Film, danach erklingt in englischer Sprache ein Song: „When I feel lonely...“ Dazu sieht man eine japanische Schulklasse, kurz vor Beginn der Unterrichtsstunde. Die Kamera streift über ihre Schuluniformen, gleitet über die Gesichter der Jugendlichen, die 13, 14 Jahre alt sind und oft einen gelangweilten Gesichtsausdruck haben. Sie macht Individuen und Verhaltenstypen erkennbar: den kommandierenden Anführer, einen, der wie ein geborenes Opfer wirkt; den Klassenclown, die Klassenschönheit, eine Streberin. Was scheinbar belangloses Tun der Schüler ist, deckt die soziale Struktur dieser Klasse auf, legt soziale Hierarchien frei: in Gesichtsausdrücken, kleinen Albernheiten, Späßen und Neckereien, denen zugleich eine unübersehbare Brutalität inne wohnt; so fliegt ein Baseball quer durch den Raum und trifft einen hart an der Schulter. Derweil wird die Schulmilch ausgegeben; die Lehrerin erklärt: „Das Kalzium in der Milch ist nicht nur gut für die Knochen, sondern auch fürs Nervensystem, für die Entwicklung eurer sekundären Geschlechtsmerkmale.“ Der Unterricht beginnt. Die Lehrerin kündigt an, die Schule am Ende des Monats zu verlassen. „Ich habe keine Ahnung, ob ich eine gute Lehrerin war, oder nicht.“ Fast, als ob sie zu sich selbst reden würde, beginnt ein längerer Monolog über ihre Arbeit, darüber, ob man als Lehrerin den eigenen Schülern glauben kann, wie persönlich die Beziehung zu Schülern sein darf, über die allgemeine Abhängigkeit der Lehrer.
Man könnte das alles noch für harmlos halten, für den typischen Auftakt eines japanischen High-School-Films, der sich mit Leid und Freuden der Adoleszenz befasst. Doch der Charakter der Kamerabewegung und die Zeitlupe, in der dies alles gefilmt ist, deuten auf etwas ganz Anderes, Schreckliches. Tatsächlich handelt es sich bei „Geständnisse“ um einen raffinierten Psychothriller, der inszenatorisch komplex gebaut ist, zugleich aber bis zum Ende überaus spannend bleibt, in seinen Wendungen überraschend und emotional eindringlich. Jedes noch so scheinbar banale Detail wie die Milch oder der Baseball aus der Eröffnung erlangen im Verlauf der Handlung zusätzliche Bedeutung(en).
Die Lehrerin, Yuko Miroguchi, spricht leise, ohne große Rücksicht auf die Schüler zu nehmen, die um sie herum stören und krakeelen. Sie spricht über Todeswünsche und Suizid-Ankündigungen der Schüler, über Gewalt unter Jugendlichen, kommt auf spektakuläre Schülerstraftaten zu sprechen, etwa die eines 13-jährigen Mädchens, das ohne erkennbaren Grund seine Eltern vergiftete. Obwohl sie das alles in ruhigem Ton sagt, ist ihre Betroffenheit offenkundig; bald wird klar, dass ihr Monolog in einer Anklage der Jugend und des Umgangs der Gesellschaft mit den Heranwachsenden mündet: „Was ist euer größter Schutz? Eure Eltern? Nein. Eure Kinder? Nein. Euer größter Schutz ist das Jugendstrafrecht, das euch vor Verantwortung schützt.“ Der Grund dafür ist sehr persönlich, und nun kommt Miroguchi auf ihre dreijährige Tochter Manami zu sprechen, die wenige Wochen zuvor gestorben ist. Miroguchi fühlt sich verantwortlich, denn Minamis Tod durch Ertrinken war kein Unfall. „Sie wurde getötet von Schülern dieser Klasse.“
All dies breitet Regisseur Tetsuya Nakashima („Kamikaze Girls“, fd 37 762, „Memories of Matsuko“) in den ersten 20 Minuten aus. Längst hören die Schüler ihrer Lehrerin gebannt zu. Ohne die Täter je beim Namen zu nennen, sorgt sie dafür, dass die Welt für sie zur Hölle wird. Damit stehen Plot und Rahmenbedingungen für einen furios inszenierten Rache-Psychothriller mit surrealen Elemente. „Geständnisse“ erzählt von der subtil ausgetüftelten Rache der Lehrerin an den beiden Schülern, die sie für den Tod der Tochter verantwortlich macht. Der Film bewegt sich dabei fernab der bekannten Muster von Rache-Thrillern aus Fernost: Nicht Blut muss fließen, sondern Angstschweiß. Womit er sich in jene japanischen Filme einreiht, die „Ijime“, das Drangsalieren und Quälen von Mitschülern, ins Zentrum stellen. Zugleich geht Nakashima darüber hinaus, kreiert ein Panorama der japanischen Gesellschaft im Miniaturformat, berührt tabuisierte oder ignorierte Themenfelder wie AIDS, Amokläufe, Jugendselbstmorde und Gewalt im Klassenzimmer. Statt die Figuren zu erlösen, dreht sich vieles um die Natur des Bösen und mündet in ein ebenso explosives wie trauriges Finale, dessen Reiz darin liegt, dass es von einem pessimistischen Menschenbild geprägt ist, das nur wenig Erleichterung gönnt, in der Kunst der Inszenierung aber überaus niveauvoll ist.
Kommentar verfassen