Es gehört einiger Mut dazu, für ein Langfilmdebüt die Form eines Zwitters zu wählen. Wahlweise wähnt man sich bei den nicht abreißenden Großaufnahmen von Karottenlaufbändern und weit schweifenden Ausblicken vom Traktorsitz in einem jener österreichischen
Dokumentarfilme, die sich die Entgleisungen der Nahrungsindustrie zur Zielscheibe erkoren haben, oder in einem zu langsam geratenen Schulungsfilm für angehende Landwirte. Das Terrain der Agrargenossenschaft „Der Märker“ im brandenburgischen Jänickendorf, das immer noch über den zweifelhaften Charme einer Ost-LPG verfügt, gibt die Kulisse für ausführliche Beobachtungen automatisierter Abläufe ab. Eine Gruppe von Lehrlingen wird hier von einer energischen Betreuerin in Theorie und Praxis mit dem Berufsbild des Landwirts konfrontiert. Dazu gehört auch die desillusionierende Information, dass sie trotz anstrengender Arbeit nie so viel verdienen werden wie etwa ein Bankangestellter. Die Kamera, die sich gerne unscharf und verwackelt gibt, begleitet die Laiendarsteller zur Ernte, in die Stallungen und aufs Feld, das im Sommer täglich bewässert werden muss. Kaum hat man sich im Doku-Modus eingerichtet, bricht sich die Fiktion doch noch ihren Weg. Benjamin Cantu, 1978 in Budapest geboren und Absolvent von gleich zwei Filmhochschulen in Berlin, „Konrad Wolf“ und dffb, überrascht in diesem rauen Umfeld mit einem schwulen „Coming of Age“-Plot und bringt zwei Schauspieler mit ins Spiel, die als Entdeckung gelten dürfen. Lukas Steltner und Kai Michael Müller schaffen mit ihrem zurückhaltenden und offenbar auch über weite Strecken improvisierten Spiel mühelos den Spagat, unter den Dialekt sprechenden Laien nicht als Fremdkörper zu wirken und dennoch der nur zaghaft in Gang kommenden Liebesgeschichte zur unerwarteter Emotionalität zu verhelfen. Wenn sie mit einer echten Bäuerin einem Kalb eine Ohrenmarke einstanzen müssen und dabei vor Angst zu stottern beginnen, sind das Momente, die schlicht vor Authentizität überwältigen. Es bedarf allerdings schon einiger wortkarger Begegnungen während der lustlos verrichteten Feldarbeit, bis die Blicke sehnsüchtig zu glühen beginnen. Was sie außer der körperlichen Anziehung verbindet, ist eine diffuse Andersartigkeit, gepaart mit latenter Sensibilität, die sie von den anderen Azubis isolieren. Wenn beim Baden am See die Spannung steigt, entlädt Cantu sie einfühlsam in wunderschönen, aber zu kurzen Stimmungsszenen, die er mit der weltentrückten Klaviermusik von Keith Kenniff unterlegt. Dann sieht man die Jungs allein in der Natur, wie sie beim Laufen oder Fahrradfahren ihre körperlichen Grenzen ausloten und dabei abzuwägen scheinen, ob sie sich mit der Entscheidung für das Ausleben ihrer sexuellen Orientierung anfreunden können. Nach dem ersten Kuss in einer Scheune scheint kurz ein Drama anzuklingeln, als der Introvertiertere der beiden die erste Annäherung bereut und auf Distanz geht. Natürlich laufen sie sich in der Ödnis schnell wieder über den Weg und riskieren einen Ausflug nach Berlin mit einem klapprigen Wagen, der ihnen zuvor als Treffpunkt für schweigsame Stunden fern des Unterrichts diente. In der Großstadt lösen sich inmitten der bunt gewürfelten Lebensentwürfe die Bedenken in Luft auf; die Liebe siegt und man wünscht ihnen, sie mögen das reaktionäre Hinterland hinter sich lassen. Cantu ist allerdings gut beraten, bis zum Schluss die Dramaturgie eines handelsüblichen Fernsehspiels zu meiden. Nach durchgemachter Nacht lässt er das Paar wieder zur Morgenmeldung im Ex-Kombinat antreten, Arm in Arm und der strahlenden Entschlossenheit, den Widrigkeiten der Provinz zu trotzen. „Stadt Land Fluss“ ist kleine, bezaubernde Perle des neuen deutschen Realismus, der man selbst das eigenwillige Springen zwischen den Gattungen verzeiht.