Fatih Akin hat weibliche Konkurrenz bekommen. Das Debüt der türkischstämmigen Schwestern Samdereli lässt sich sehen, zumal sie ihr Ziel, den Radius des multikulturellen Heimatfilms um eine weitere Perspektive zu erweitern, nie aus den Augen verlieren. Von Zweifeln oder künstlerischen Ambitionen keine Spur. Ihr Kino soll vor allem unterhalten und dabei eine festgefahrene Integrationsdebatte entkrampfen. Wie schon Ali Samadis Ahadis Komödie „Salami Aleikum“
(fd 39 384) dreht ihr tragikomischer Pointenreigen die Erwartungshaltung um und blickt auf die deutschen Verhältnisse aus der Sicht der Einwanderer, ein bewährter Trick, den schon Montesquieu in seinen „Persischen Briefen“ anwendete. Die genüsslich ausgestellten Vorurteile beider Seiten über die jeweils abweichenden Sitten und Gebräuche der anderen lassen keinen Zweifel daran, dass die Schwestern diese Phase der interkulturellen Konfrontation hinter sich gelassen haben und Selbstironie zu ihrer emotionalen Grundausstattung gehört. Mitten im Wirtschaftswunder kommt Hüseyin Yilmaz 1964 wie Hunderttausende anderer Arbeitswilliger aus Anatolien ins Ruhrgebiet. Die Ehrung zum Millionsten „Gastarbeiter“ am 10. September 1964 verpasst er nur, weil er seinem Nachbar in der Schlange den Vortritt lässt. Die Frau zieht mit den drei Kindern nach und staunt über den deutschen Schlager, die Toiletten und die kehlkopfbetonte Sprache, schwere Schweinefleischgerichte, Weihnachtsrituale und überhaupt die barbarische Religion, in deren Mittelpunkt ein brutal gekreuzigter und blutender Mann steht. Vier Jahrzehnte später fragt der sechsjährige Enkel beim Opa nach, nicht zuletzt wegen seiner deutschen Mutter und fehlender Türkischkenntnisse, ob er nun Deutscher oder Türke sei. Grund genug für den neuerdings vom Türkenstolz heimgesuchten Besitzer eines deutschen Passes, seine Großfamilie zum ersten Besuch in Anatolien zu überreden, zumal es ein Häuschen zu besichtigen gilt, das er für seine Nachfahren gekauft hat. Für die deutsch-türkischen Töchter und Söhne ist das Land allerdings eine bedrohlich unterentwickelte Fremde, weshalb sich mancher tütenweise mit deutschen Medikamenten eindeckt, um den unliebsamen Aufenthalt zu überstehen. Archivmaterial und Rückblenden wechseln sich ohne Ambition nach tiefer gehenden Einblicken mit Animationen, Traumszenen und einer schnörkellos vorangetriebenen Gegenwartshandlung ab. Mit leichtfüßiger Ironie und gelegentlicher Nachdenklichkeit verhandelt die Comedy-Burleske vor der Folie der Generationen sich vielfältig verzweigende Lebensentwürfe, Fragen nach Identität und Zugehörigkeit. Dass der Film das Stadium der Integrationsdebatte vor die Sarrazin-Phase zurückdreht, ist ihm hoch anzurechnen. Es ist noch nichts entschieden, so die Bilanz des Films, die deutsch-türkische Community mitten im Wandel und der von der „German Angst“ herbeilamentierte Untergang der Nation noch nicht in Sicht.