Ein junger Fernfahrer, unterwegs auf den Straßen der russischen Provinz, gerät in einen Teufelskreis aus Korruption, Willkür, Brutalität und Selbstsucht. Stets auf der Suche nach dem Guten im Menschen, erfährt er immer wieder neue Niederlagen. Spielfilmdebüt des Dokumentaristen Sergej Loznitsa, der in einem episodischen Road Movie nach Gründen für den erbarmungswürdigen moralischen Zustand seiner Heimat forscht und sie in Armut, Krieg und Hunger findet. Aufgrund der permanenten Wiederkehr von Unrecht und Willkür wirkt der Film auf Dauer redundant; auch kann er sich nicht dem Eindruck entziehen, westliche Klischeebilder von der russischen Provinz zu bedienen.
- Ab 16 möglich.
Mein Glück
Road Movie | Deutschland/Ukraine/Niederlande 2010 | 128 Minuten
Regie: Sergej Loznitsa
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Filmdaten
- Originaltitel
- SCHASTYE MOE
- Produktionsland
- Deutschland/Ukraine/Niederlande
- Produktionsjahr
- 2010
- Produktionsfirma
- ma.ja.de/SOTA Cinema Group/Lemming Film/ZDF/ARTE
- Regie
- Sergej Loznitsa
- Buch
- Sergej Loznitsa
- Kamera
- Oleg Mutu
- Schnitt
- Danielius Kokanauskis
- Darsteller
- Viktor Nemets (Georgy) · Wladimir Golowin (alter Mann) · Alexei Vertkov (junger Leutnant) · Dimitri Gotsdiner (Revierkommandant) · Olga Shuvalova (junge Prostituierte)
- Länge
- 128 Minuten
- Kinostart
- 03.02.2011
- Fsk
- ab 16; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16 möglich.
- Genre
- Road Movie
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Diskussion
Sergej Loznitsa, geboren 1964, dreht seit anderthalb Jahrzehnten beachtliche Dokumentarfilme, meist Erkundungen des russischen Alltags in Gegenwart und Geschichte. Die Sicht auf das Leben seiner Landsleute, zunächst von ironisch-versöhnlicher Heiterkeit geprägt („Heute bauen wir ein Haus“, 1996), ist schon länger tieftraurig; der moralische Zustand Russlands, aus dem Loznitsa 2001 mit seiner Familie nach Deutschland übersiedelte, macht dem Regisseur sichtlich zu schaffen. In seinem ersten Spielfilm „Mein Glück“ hat er Geschichten und Eindrücke, die er während seiner Dokumentarfilmarbeit sammelte, zu einer Endzeitparabel verdichtet: kein Ort, nirgends, an dem nicht die schlimmste aller Wendungen eintreten würde. Hauptfigur ist der Fernfahrer Georgy, der mit einer Wagenladung Mehl auf die Reise geht: Viktor Nemets spielt ihn mit schönen, weichen Zügen, ein junger Mann ohne Arg, fast engelsgleich. Im Laufe des Films verwandelt sich dieses Gesicht bis zur Unkenntlichkeit: Angesichts des Egoismus, der Kälte und des Unrechts, dem Georgy fortwährend begegnet, wirkt es hinter einem dichten Bart am Ende weit vor der Zeit gealtert. Georgys Augen werden trübe, er flüchtet sich ins Schweigen. Der freundliche junge Mann, dessen Reise in einer sonnendurchfluteten Sommerlandschaft beginnt, verwandelt sich schließlich, in der nächtlichen, winterlichen Schlusssequenz, zu einem düsteren Rächer von biblischer Gewalt.
Bis zum Finale ist Georgy eine weitgehend passive Figur, die von einem bösen Erlebnis zum nächsten mäandert, dabei lange an das grundsätzlich Gute im Menschen glaubt, aber stets aufs Neue enttäuscht wird. Diese dramaturgische Struktur wirkt auf die Dauer allerdings redundant: Dass keine der Episoden glücklich ausgeht, ahnt der Zuschauer früh. Zwar deutet Loznitsa an, dass in jeder Begegnung auch die Variante eines friedvollen Miteinanders verborgen ist, legt sich aber darauf fest, dass diese Möglichkeit zu kommunizieren und zu leben aus dem Bewusstsein der Figuren verschwunden ist. Ein dichtes Netz aus Korruption und Willkür, Brutalität und Selbstsucht hat das Land überzogen, und alle, sowohl die Autobahnpolizisten als auch die minderjährige Hure, die Soldaten und Bauern, Alte und Junge, Männer und Frauen sind im Teufelskreis des Unrechts gefangen: Es gibt keinen Gott mehr unter diesem Himmel. Loznitsa sucht nach Ursachen für jenen erbarmungswürdigen Zustand, in dem er seine Heimat untergehen sieht. Er findet sie, unter anderem, in der Armut der Landbevölkerung. Die Kamera von Oleg Mutu beschreibt sie durch Bilder verfallender Ortschaften oder eine lange Schnittfolge, in der er stumme, oft vom Alkohol abgestumpfte Gesichter auf einem Bauernmarkt fotografiert. Zwei Mal blendet der Film aus der Gegenwartshandlung in die Vergangenheit des Zweiten Weltkriegs zurück und belegt die Inhumanität, die dort unter Russen praktiziert wurde: Pure Raffgier lässt Menschen zu Monstern werden. Aus Krieg, Hunger, Schnaps und bitterer Armseligkeit, so postuliert der Regisseur, formte sich jene unheilige Allianz, die das Land in einen Abgrund stieß, aus dem es scheinbar kein Entrinnen gibt.
„Mein Glück“ beginnt als Road Movie und verharrt dann in einem russischen Dorf, das Loznitsa zum Vorhof der Hölle stilisiert. Dort vollendet sich das zutiefst subjektive, zum Requiem verdichtete Porträt einer Seelenlandschaft, die dem Regisseur nah und fremd zugleich ist. Bleibt darüber nachzudenken, wie sehr der doch recht eindimensionale Film auch westliche Klischeebilder vom „wilden Osten“ zu bedienen versucht. Und ob seine ausschließlich düstere Perspektive nicht ein Gruseln über das ferne Reich der Bären und Wölfe hervorruft, das einen für einen Moment zwar erschrocken macht, im Grunde aber unbeteiligt lässt.
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